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Erhaltet die Wiener Altstadt!

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Führende Kunsthistoriker haben in der Angelegenheit der Assanierung der Wiener Altstadt an Stadtrat Leopold Thaller folgende Erklärung gerichtet:

„Im der Beantwortung der Anfrage über die Erhaltung und Sanierung der Wiener Altstadt int Wiener Gemeinderat vom 24. März 1955 (siehe die auf die ,Rathauskorrespondenz' zurückgehenden Berichte in den Wiener Zeitungen vom 25. März) wurde erklärt, ,daf! von der Stadtplanung im Einvernehmen mit den Kunsthistorikern und den anderen zuständigen Stellen (Kulturamt der Stadt Wien, Bundesdenkmalamt) die historisch bedeutsamen Stadtgebiete festgestellt würden und 'ei Assanierung auf die Erhaltung dieser Stadtteile Rücksicht genommen werde'.

Die gefertigten Wiener Kunsthistoriker nehmen diese Erklärung mit Genugtuung zur Kenntnis und stehen für einschlägige Beratungen gern zur Verfügung. Der Wille, das Gesamtbild der Wiener Altstadt zu erhalten, ist sehr zu begrüßen, doch sind die Unterzeichneten über die Wege zu diesem Ziele grundsätzlich anderer Ansicht. Die zur Erhaltung des Altstadtcharakters vor geschlagene Errichtung von Nachbildungen wertvoller Fassaden erscheint keineswegs als richtige Lösung, weil durch eine Kopie niemals der alte Charakter nachgeschaffen werden kann. Es ist nicht möglich, solche Nachbildungen in alter Handwerksgerechtigkeit herzustellen, vor der letzten Endes die Wirkung im Straßen- und Stadtbild abhängt. Ein Historisieren wirkt im Gegenteil nur unangenehm und störend in einem Zug wirklich echter, alter Fassaden.

Im Vordergrund der Assanierung müßte vielmehr die Bemühung um Erhaltung und zeitgemäße Besserung alter Bestände stehen. Mit den heutigen technischen Mitteln muß es möglich sein, die Bausubstanz eines Althauses so weit zu sanieren, daß im Inneren Wohnverhältnisse geschaffen werden können, die den hygienischen Forderungen der Neuzeit Genüge tun. Nicht auf das Nachschaffen des alten Bestandes kommt es an, sondern auf seine Erhaltung. In verschiedenen Städten des Auslandes, wie zum Beispiel in einigen Altstadtvierteln von Brüssel, Bern, Zürich, Freiburg im Breisgau, Mailand und anderen, hat man diese Methode schon mit Erfolg angewendet.

Weiter ist zu bedenken, daß die gemeindeeigenen Objekte nur einen relativ geringen Prozentsatz des Bestandes an Althäusern in der Wiener Altstadt darstellen. Die Mehrzahl sind Privathäuser, die in ihrer alten Gestalt erhalten sind und voraussichtlich auch erhalten bleiben werden. Das Aufreißen von Straßenzügen an einzelnen Stellen und das Einfügen von Neubauten, auch wenn die Fassaden mit noch soviel Verständnis .nachempfunden' sind, kann für das Stadtbild bestimmt nicht von Vorteil sein.

Daher ist sorgfältigste Prüfung jedes einzelnen Falles nach allen nur denkbaren Gesichtspunkten und durch alle zuständigen Stellen unerläßlich. Wenn diese Ueberprüfungen bei einem oder dem anderen Objekt eindeutig die Unhaltbarkeit des Bestandes und die Unmöglichkeit der Anpassung an neuzeitliche Bedürfnisse des Wohnens ergeben, wird die Frage zu klären sein, ob nicht die künstlerisch wertvolle Schauseite solcher Bauwerke erhatten und mit einem zeitgemäßen neue Baukörper verbunden werden kann. Eine solche Lösung ist beim sogenannten Dreimäderlhaus auf der Mölkerbastei versucht worden und kann durchaus die Billigung aller kunstinteressierten und kunstverständigen Kreise finden.

Die Unterzeichneten betonen nochmals ihre Bereitwilligkeit, an den Beratungen über die in Rede stehenden Fragen teilzunehmen, die bereits durch das Problem der Erhaltung einiger Althäuser in der Blutgasse, Singerstraße und Schönlaterngasse in das Stadium besonderer Aktualität getreten sind.“

Die Erklärung ist von folgenden Persönlichkeiten unterzeichnet:

Universitätsprofessor Dr. Otto Benesch, Direktor der Graphischen Sammlung Albertina; Dr. Augustin Bartsch, Kustos der Graphischen Sammlung Albertina: Hofrat Dr. Richard Kurt Donin; Hof rat Universitätsprofessor Dr. Karl Garzarolli, Direktor der Oesterreichischen Galerie; Universitätsprofessor Dr. Fritz Novotny, Kustos der Oesterreichischen Galerie: Dr. Franz Glück, Direktor des Historischen Museums der Stadt Wien; Dr. Alfred Neumann, Historisches Museum der Stadt Wien: Universitätsdozent Dr. Anton Macku; Dr. Ludwig Münz, Direktor der Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste; Dr. Margarethe Poch-Kalous, Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste; Universitätsprofessor Dr. Vinzenz Oberhammer, Direktor des Kunsthistorischen Museums; Dr. Bruno Thomas, Leiter der Waffensammlung und der Sammlungen für Plastik und Kunstgewerbe am Kunsthistorischen Museum; Hofrat Dr. Rudolf Pühringer, Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums; Universitätsprofessor Dr. Karl M. Swoboda, Vorstand des Kunsthistorischen Institutes an der Universität Wien; Dr. Ignaz Schlosser, Direktor des Oesterreichischen Museums für Angewandte Kunst: Dr. Viktor Grießmaier, Vizedirektor des Oesterreichischen Museums für Angewandte Kunst: Universitätsprofessor Dr. Leopold Schmidt, Direktor des Oesterreichischen Volkskundemuseums und des Museums für Völkerkunde.

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