Ein einziger riesiger Sumpf

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Hellmut Butterwecks Roman ist im Grenzbereich zwischen Historiografie und Erzählung angesiedelt und deckt Ausgeblendetes auf.

Gleich nach dem Krieg, nach dem so genannten Zusammenbruch: Nachkriegszeit in Österreich. Eine historische Phase, die eine historische Chance eröffnet, nämlich die Möglichkeit, gründlich aufzuräumen und ganz neu anzufangen. Die Chance wurde vertan.

Hellmut Butterweck, 1927 in Wien geboren, Theatermacher und Theaterkritiker, lange Jahre auch Redakteur der Furche, zieht die Institutionen, die damals versagt und ihre große Stunde versäumt haben, zur Verantwortung und vor den Vorhang: namentlich die Nachkriegsjustiz, deren Aufgabe es gewesen wäre, die NS-Straftäter mit der nötigen Konsequenz und Härte zu verfolgen, und die politischen Instanzen, die mit Rücksicht auf breite Wählerschichten seit 1948 dafür plädiert haben, Gnade vor Recht walten zu lassen.

Den diversen Narrativen der betroffenen Parteien stellt Butterweck jetzt, nach zeitgeschichtlichen Arbeiten, auch einen "Tatsachenroman" (so die Verlagswerbung) entgegen, einen Roman, der jedenfalls im Grenzbereich zwischen Historiografie und Erzählung angesiedelt und dennoch bestrebt ist, Fakten und nichts als Fakten ans Licht zu bringen, endlich auszumachen, was in den Kämpfen der Nachkriegszeit mehr und mehr ausgeblendet und eben nicht kritisch aufgearbeitet worden ist.

Die Figuren, deren Lebensläufe der Roman verfolgt, haben unmittelbar nichts miteinander zu tun. Ihre Wege kreuzen sich lediglich vor dem selben Justizapparat, der bis 1955 insgesamt "13.607 NS-Straftäter schuldig gesprochen und 9870 Angeklagte freigesprochen" hat: Es sind vor allem die Begnadigungen, die dem Erzähler keine Ruhe lassen, stößt er doch im Zuge seiner Recherchen, die ihn nicht nur in die Zeit des Dritten Reiches, sondern auch in die Zeit des Ständestaates zurückführen, allerorten auf Duckmäuser und Mitläufer und Denunzianten, also nicht auf Sümpfe da und dort, sondern auf einen einzigen riesigen Sumpf.

Prekäre Beispiele

Die (fiktive) Geschichte des ehemaligen KZ-Häftlings Viktor Rueff bietet ein besonders prekäres Beispiel. Rueff, zeitweise Blockältester im Konzentrationslager Auschwitz-Blechhammer, kehrt im Mai 1945 nach Wien zurück und versucht, wieder in den Besitz seiner 1938 arisierten Wohnung zu gelangen, weiters in der Kommunistischen Partei Aufnahme zu finden und schließlich sich um eine führende Rolle im Kulturbetrieb zu bewerben; er schreibt einen Brief "an Kulturstadtrat Matejka", "schickt das Gesuch aber nicht ins Rathaus, sondern dem KPÖ-Bezirksleiter Lauscher". Er wird indessen nicht Theaterdirektor, sondern im Herbst 1945 verhaftet. Denn er hat, so lauten jedenfalls die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, "Spitzeldienste für die SS" geleistet, im Lager sich als "skupelloser Geschäftsmann" erwiesen und Mithäftlingen gegenüber seine Position als Blockältester eiskalt ausgenützt. - Am Ende bleibt nichts mehr, was für Viktor Rueff, der wohl Opfer und Täter zugleich ist, sprechen könnte; allenfalls ein Stück Papier, nämlich die im Mai 1945 von der KPÖ-Bezirksleitung Innere Stadt ausgestellte Bestätigung, Viktor Rueff zeichne sich "durch besonders aufopferungsvollen Dienst sowohl in internen Parteiangelegenheiten als auch für öffentliche, im Gemeininteresse liegende Dinge aus. Seine Sachkenntnis ist hervorragend. Gen. Rueff ist einer der idealistischen und besten Österreicher, die wir kennen. Wir empfehlen Gen. Rueff allen öffentlichen und privaten Stellen und Behörden zur bevorzugten Behandlung und Unterstützung."

Derartige Aufschreibungen, die seinerzeit leichtfertig (wie der Stil verrät) hingeworfen und zugleich penibel abgestempelt worden sind, kollidieren im Roman mit einem Netzwerk von Beobachtungen, die sich einerseits auf das gründliche Studium von Gerichtsakten stützen, andererseits aber auch auf Wahrnehmungen und Erfahrungen in einem Milieu, in dem jeder, wie man in Wien zu sagen pflegt, "auf" jeden etwas weiß - und jeder jeden oder über jeden was auszurichten hat.

Konzentriert auf "Nazifilz"

Diese Umsicht, die den Erzähler auszeichnet, wird allerdings getrübt durch den Umstand, dass er seine eigene Position keineswegs auch mit derselben Sorgfalt aufs Korn nimmt.

Der politische Klimawandel der Nachkriegszeit zeigt sich bekanntlich nicht nur im Bereich der Justiz. Er zeigt sich genauso etwa auf dem kulturellen Sektor, den der Erzähler (wie andere Sektoren des sozialen Lebens auch) jedoch weitgehend ausklammert. Vollkommen konzentriert auf den "Nazifilz", auf Zeugenaussagen, auf Urteile und Fehlurteile, kommt er so beinahe zwangsläufig zu Schlussfolgerungen, hinter die er, hinter die dieser sein Bericht kein Fragezeichen mehr setzt; da und dort also begegnet man einem Satz, einem Resümee, mit dem man in einem zeitgenössischen Roman schon eigentlich eher nicht mehr rechnet: "Auch damals haute ja einer den anderen übers Ohr, wo er nur konnte."

TOTE IM VERHÖR

Roman von Hellmut Butterweck

Picus Verlag, Wien 2008

230 Seiten, geb., € 19,90

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