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Der Weg des Liederlichen
Strawinskys einzige Oper, „The Rake's Progress“, kam (nach Kassel, Wuppertal und Hamburg) als Doppelpremiere in der Deutschen Oper Berlin zur Aufführung. Angeregt durch die Bilderfolge des englischen Malers William Hogarth entstand in Zusammenarbeit mit W. H. Auden und Ch. Kallman als Librettisten ein kunsthandwerkliches Bühnenstück für Musikgourmets, das seit seiner Uraufführung 1959 im Teatro la Fenice in Venedig stets einem respektvollen Achtungserfolg begegnet. In Berlin führt, wie seinerzeit in Venedig, Carl Ebert, Regie.
Seine Spielleitung ist eindeutig realistisch, nur auf eine der Handlung gemäße musiktheatralische Konzeption bezogen. Kein Wüstling, ein labiler, ein haltloser junger Mensch, der auf Fortuna hofft, durch Erbschaft plötzlich zu Geld kommt, in hybrider Selbstüberschätzung alles verschleudert und zerstört: seinen Reichtum, sein Glück, seine Liebe, und im Wahnsinn endet. So läuft der „Weg des Liederlichen“ in den Hogarthschen Originalen nachempfundenen Bühnenbildern von Wilhelm Reinking ab. Heinrich Hollreiser am Pult betreut das musikalische Geschehen umsichtig und ordentlich, als Kammeroper leider etwas zu wenig auspoliert und nicht immer genügend delikat.
In der ersten Premiere setzt Donald Grobe für den Tom Rake-well seinen wohl substanzreichen Tenor und darstellerisch eine unbekümmerte Jungenhaftigkeit ein, doch für die musikalischen Verzierungen und die Wahnvorstellungen in der dem Irdischen bereits entrückten Endstation mangelte es seiner Stimme an der hier notwendigerweise schwebenden Leichtigkeit. Erika Köth stellte eine anmutige Naive als Ann dar, mit brillianten Glockentönen aufwartend, William Dooley einen elegant satanischen Nick Shadow. In der zweiten Premiere war Loren Driscoll der Tom, ein nervös jedes Abenteuer aus-
kostender Liederlicher, Lee Venera, reizend anzuschauen, stimmlich und figürlich eine Ann von rührend lieblicher Mädchenhaftigkeit, und Hans Günter Nöcker mit seinem volltönenden Bariton ein Nick Shadow, dem die Doppelgesichtigkeit des Verführers mit der dem Teufel bereits verschriebenen Seele nicht recht überzeugend gelingen wollte. In beiden Premieren bot Vera Little eine von Temperament überschäumende und gesanglich souveräne Leistung als schwarzbärtige Türkenbab. Stimmlich hervorragend wie immer der mehr statisch als bewegt mitwirkende Chor in der Einstudierung von Walter Bagen-Groll. Am Schluß beider Premieren dankte das Auditorium den Mitwirkenden mit nach Leistung gestuftem Beifall, besonders herzlich aber dem früheren unvergessenen Chef des Hauses, dem heute achtzigjährigen in Los Angeles lebenden Professor Carl Ebert.
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