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Eine Fabrik des menschlichen Geistes

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Immer größer, immer imposanter wirkt der Centre Pompidou auf dem Plateau Beaubourg im Herzen von Paris, unweit der früheren „Halles“. Erstaunt sehen die Pariser das Ungetüm wachsen, und sie fragen sich, was die Mauern dieses „Monstre sacre“ verbergen mögen. Die Antwort auf diese Frage gab kürzlich im Londoner Institut Francais ein Spezialistenteam, das sich bemühte, die Notwendigkeit und den Wirkungskreis des neuen Kunstzentrums zu veranschaulichen.

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Immer größer, immer imposanter wirkt der Centre Pompidou auf dem Plateau Beaubourg im Herzen von Paris, unweit der früheren „Halles“. Erstaunt sehen die Pariser das Ungetüm wachsen, und sie fragen sich, was die Mauern dieses „Monstre sacre“ verbergen mögen. Die Antwort auf diese Frage gab kürzlich im Londoner Institut Francais ein Spezialistenteam, das sich bemühte, die Notwendigkeit und den Wirkungskreis des neuen Kunstzentrums zu veranschaulichen.

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Es betonte dabei vor allem, daß dieses Zentrum anders ist. Anders als die verschiedenen bereits bestehenden Centres d'Initiative, anders als die üblichen Bibliotheken, Galerien, Museen. Anders als die bestehenden Konzertsäle und anders als die Volkshochschulen, obgleich man dort auch lesen und lernen, Bilder anschauen und Musik anhören kann.

Anders in seinem Konzept und in seiner Struktur. Anders in seiner Anpassungsfähigkeit und seiner Einbeziehung sämtlicher GeseHschafts-schichten und Jahrgänge. Das Neueste wird dort ausprobiert, entwickelt und erfunden, und das Schönste dabei ist, daß die Besucner mitmachen können beim Experiment, daß sie auf jeder Ebene aktiviert wenden und sich kreativ beteiligen können.

Der Bibliothek, die sieben Tage die Woche zwölf Stunden täglich 1300 Besuoherin offensteht und außer den Büchern Tausende von Dias, Mikrofilmen, Video-Kassetten und audio-visuelle Dokumentation enthält, ist ein Spraohlaboratorium und eine Informationsstelle angeschlossen, in der zahlreiche Computer zur allgemeinen Verfügung steinen und Auskunft auf die kompliziertesten Fragen geben.

Das Museum zeitgenössischer Kunst ist als ein dehnbarer, offener Raum konzipiert, in dem nicht nur Ausstellungen, Führungen, Vorlesungen und Projektionen, sondern vor allem Begegnungen mit lebenden

Künstlern des In- und Auslandes stattfinden können, die Kontakt und Austausch vermitteln und zur Partizipation anregen.

Besonders originell ist der „Centre de creation industrielle“, dessen erste fünf Ausstellungen „Die Stadt und das Kind“, „Bahnhöfe“, „Die Geschichte des Autos“, „Die Geographie der Farbe“ und „Reklame“ behandeln wenden und die darauf bedacht ist, Interessenten an seinen Studien und Projekten zu beteiligen, die sich mit Umweltproblemen in städtischen Gebieten befassen.

Neben Bibliothek, Indiustrial Design und Museum nimmt IRCAM, das „Institut de Recherche et de Coordimation Acoustique/Musique“ den bedeutendsten Raum in dem Kunstzentrum ein. Unter der Leitung von Pierre Boulez sollen hier alle Probleme zeitgenössischer Musik in Angriff genommen werden, die •nicht auf individueller Basis gelöst werden können. Komponisten, Instrumentalisten und Sängern, [nstrumentenbauern, Elektroakusti-kern und Forschern steht hier eine Ausrüstung zur Verfügung, die dem letzten Stand der Technik entspricht und durch neue Entdeckungen laufend ergänzt werden kann. Außer den zahlreichen Studios und Labors ist ein experimenteller Saal für 400 Zuhörer vorhanden, dessen Inhalt, Höhe, Akustik und Reverbe-ration den jeweiligen Umständen angepaßt werden kann und wo das Publikum nicht nur mit abgeschlos-

senen Werken, sondern auch mit den verschiedenen Stadien der Kreation bekannt gemacht werden soll. Für das erste Jahr, vom 13. Jänner bis zum 2. Dezember 1977, ist ein ausgedehntes Programm von 30 Konzerten und Veranstaltungen vorgesehen, die teilweise von dem neuen „Ensemble Intercontemporain“ unter der Leitung des jungen Genfer Dirigenten Michel Tabachndk bestritten werden sollen.

Boulez nennt die IRCAM ein „kreatives Laboratorium“, das dem Publikum offensteht und wo jeder das „work in progress“ verfolgen, sich ein eigenes Urteil bilden und mitmachen kann, wenn er will.

Daß in Form von Cafeterdas und Restaurants, Läden und Supermar-kets, Terrassen und Innenlhöfan, Zeitungskiosk und Spielplätzen, Schachtischen, Blumenrtnarkt, Kino und Zoo außerdem reichlich für Ablenkung gesorgt wird, soll ebenfalls erwähnt werden. — Hier, im Centre Pompidou, findet Wladimir Majakowskis Utopie einer „Fabrik des menschlichen Geistes“ endlich ihre Verwirklichung.

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