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Verschleiert der Schleier?

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Eigentlich kein Streitthema, sollte man annehmen: Ahmad Abdelrahimsai, der wegen seiner Glaubenstreue angesehene langjährige Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, verordnet moslemischen Schülerinnen das Tragen eines Kopftuchs während des Religionsunterrichts. Verlangen nicht Religionsfreiheit, Achtung vor der Überzeugung anderer und vor Menschenrechten sowie Toleranz und Anstand die selbstverständliche Duldung solcher Vorschrift?

Leider läßt sich die Antwort nur im berüchtigten Stil von Radio Er-ewan erteilen: Im Prinzip ja. Aber es ist eine Tatsache, daß fundamentalistische Kreise des Islam unmißverständlich versuchen, Brückenköpfe mit politischen Zielen in der westlichen Gesellschaft zu errichten. Moslems sollen entmutigt werden, sich anzupassen, und ihr Verschiedensein als Unterwanderungsauftrag verstehen.

Wie verhält sich eine liberale westliche Gesellschaft dazu? Gelassen, wenn keine wirkliche Gefahr droht, aber vorsichtig, wenn Verdacht am Platz ist. Das hat auch Frankreich getan, das schließlich ein gesetzliches Kopftuchverbot erließ, mit dem sich später auch liberale Intellektuelle - im Namen der Frauen-, im Namen der Menschenrechte - identifizierten.

Die Kopftuchverordnung geht auf Vers 59 der 33. Sure des Koran zurück: Die Frauen der Gläubigen „sollen, wenn sie ausgehen, sich in ihren Überwurf hüllen”. Was damit gemeint ist, wird vom Koran nicht näher definiert. Im Lauf der Geschichte hat sich ein wenigstens Kopf und Brust verhüllender Schal herausgebildet. Der Prophet hat es nicht so genau gesagt. Und der Verszusatz „Allah ist verzeihend, barmherzig” wird von Korangelehrten als Hinweis gedeutet, daß es sich hiebei nicht um eine allzeit und überall verbindliche Vorschrift handelt.

Präsident Abdelrahimsai wird die Frage gestatten, warum er die Anordnung jetzt und nicht schon viel früher getroffen hat und ob es ein Zufall ist, daß Kleidervorschriften von islamischen Religionspolitikern gerade jetzt vielfach als Instrument zur Durchsetzung eines Grundsatzes benützt werden, der da lautet: Für Moslems gelten nicht individuelle Menschenrechte, sondern nur kollektive Rechte für die gesamte Glaubensgemeinschaft. Das wäre nicht typisch islamisch, sondern typisch fundamentalistisch und würde Widerspruch zur Pflicht machen. -

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