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Nur barmherzig?

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Barmherzigkeit — das ist von Anfang an ein typisches Verhalten der Christen gewesen. .JSelig sind die Barmherzigen“, sagt Jesus, „denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“

Welcher Rasse oder sozialen Schicht ein Mensch auch angehören sollte, er hat Grund und Ursache, christliche Barmherzigkeit zu erwarten. Jesus selbst hat in der Gestalt des ,JBarmherzi-gen Samariters“ eine Art Leitbild geschaffen: einen Menschen, der bereit ist, überall und jederzeit den leidenden Mitmenschen wahrzunehmen, sich seiner anzunehmen und seine Not zu lindern.

Christen aller Konfessionen haben dazu beigetragen, mitmenschliches Helfen auf den hohen, gut organisierten Standard der Gegenwart zu bringen.

Aber gerade das gut funktionierende System internationaler Hilfeleistungen hat die Grenzen dieser traditionellen Art von Barmherzigkeit gezeigt. Der evangelische Pfarrer Martin Luther King hat das am Gleichnis vom JBarmherzigen Samariter“ deutlich gemacht: Es sei schon gut und christlich, den Schwerverletzten, der auf dem Weg nach Jericho unter die Räuber gefallen ist, aufzuheben; seine Wunden zu verbinden, ihm ein Quartier für die nächsten Tage zu geben.

,Aber“, so Martin Luther King, „eines Tages müssen wir eben die Straße von Jerusalem nach Jericho so sicher machen, daß dort erst gar niemand mehr überfallen wird.“

Und genau das gilt in Zukunft auch für die christliche Barmherzigkeit.

Martin Luther King hat durch seine konsequent biblischen Überlegungen einen Begriff geschaffen, der für die internationale Arbeit der Kirchen immer wichtiger geworden ist: prophylaktische Barmherzigkeit. Natürlich werden die Kirchen auch in Zukunft die akute Katastrophenhilfe weiterführen, aber man hat doch längst eingesehen, daß man Not nur dann wirklich lindern, ja vielleicht sogar abschaffen kann, wenn man an die Wurzeln der Not geht. Das heißt ganz konkret, die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zustände zu ändern, Unterdrückung und Ausbeutung zu beseitigen.

Dieses Umdenken hat längst zu konkreten Programmen und Projekten geführt wie der ökumenischen Begleitung der KSZE-Konferenzen in Europa. Es wird also immer deutlicher werden, daß das Christentum nicht in erster Linie die Kraft gibt, die bestehenden Verhältnisse zu ertragen, sondern sie zu verändern. Denn das Christentum ist eine Veränderungsreligion.

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