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Penetrante Liberale

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Das Zentralkomitee der „Liga der Kommunisten Serbiens“ hat den Sekretär des Exekutivkomitees des Zentralkomitees, Nikola Petronic, unsanft hinausgeworfen. Sein Nachfolger ist der frühere Sekretär' des Belgrader Städtischen Parteikomitees, Djordje Lazdc. Mit Petronic mußten auch drei Sekretäre ihre Koffer packen. Alle vier blieben jedoch vorläufig Mitglieder des Zentralkomitees. Auch der Lektor der Juridischen Fakultät zu Novisad, zugleich führender Jugendfunktionär in Serbien, Alexander Mikic, dankte als ZK-Mitglied ab, weil er vom Kollektiv der Professoren und der Lektoren wegen seiner politischen Fehlgriffe an der Fakultät scharf kritisiert wurde.

Seit dem ZK-Plenum vom 15. Jänner 1974 herrscht eine explosive Stimmung an den vier serbischen Universitäten, den Universitäten von Belgrad, Niä, Pristina und Novisad. Als öffentlicher Politankläger trat das ZK-Mitglied Slavko Veselinov auf, der von Uneinigkeit sprach und schwere Vorwürfe gegen zuständige Parteiführer und KP-Funktionäre erhob. Er forderte deren Absetzung mit der seltsamen Begründung, daß „niemand so groß ist, daß er unentbehrlich wäre“.

Die Schwierigkeiten an der serbischen Parteispitze begannen nicht erst gestern. Sie schwelen schon seit 'Oktober 1972, als Tito den als „Liberalen“ verschrienen Präsidenten der serbischen Partei, Marko Nikezic, von der Bühne abkommandierte, samt der Sekretärin der Exekutive des Zentralkomitees, Latinka Perovic. Auf ihre Plätze rückten Tihomir Vlaskalie und Nikola Petronic vor.

Damals erklärte sich die überwiegende Mehrheit der führenden serbischen Parteifunktionäre mit der abservierten Führung für solidarisch und stimmte sogar gegen Präsident Tito, der den gefährlichen gordischen Knoten nur noch mit dem Schwert seiner persönlichen Autorität durchschneiden konnte. Das ganze, in mehreren Aufzügen gespielte Drama um die zu mächtig gewordenen Parteipotentaten wurde zwei Jahre lang der Welt mit viel Spannungsmomenten und Überraschungen vorgeführt. Ob dadurch der zentrale Parteiapparat in Belgrad wirklich gefestigt und gestärkt werden konnte, blieb eine offene, oft bezweifelte Frage. Säuberungen erzeugen erfahrungsgemäß Panik und bringen selten die ersehnte Konsolidierung. Das qualitative Niveau der serbischen Führerschaft ist zweifellos niedriger geworden, ihre Abhängigkeit von der föderativen Parteiführung größer. Sowohl in Serbien wie auch in Kroatien ergab sich dasselbe Phänomen: die farbloseren, weniger selbständigen Parteiführer konnten die lokalen Probleme weniger zufriedenstellend lösen als ihre abgesetzten Vorgänger. Konflikte häuften sich. Die hartnäckigste Opposition betrieben die marxistischen Philosophen der Universitäten von Zagreb, Belgrad und Novisad und die ihnen anhängenden Studenten.

Dem Mitglied des Zentralkomitees Milutin Milosevic fiel die undankbare Rolle zu, anläßlich des ( erwähnten ZK-Plenums die Alarmglocken zu betätigen und auf das „Eindringen des Liberalismus in die Parteiführerschaft Serbiens“ hinzuweisen. Die laufenden Säuberungen in der serbischen Parteiorganisation stehen in engem Kontakt mit dem ideologischen und philosophischen Kampf an den besagten vier serbischen Universitäten. Es ist damit zu rechnen, daß man gegen rebellische Professoren und ihre Hörer noch härter als bisher vorgehen wird.

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