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„Ich ging im ZK der KPdSU aus und ein“

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Igor Glagolev war bis 1976 ein führender Ge- schichts- und Wirtschaftswissenschafter der UdSSR, der die Spitzen des Staates und der KPdSU in internationalen Fragen beriet und Bücher und Artikel publizierte. Seit zwei Jahren hält sich der 58jährige Absolvent der Universität Leningrad irgendwo im US-Bundesstaat Virginia nahe Washington auf Für die FURCHE hat er exklusiv ein paar Erinnerungen aus seinen Moskauer Tagen zusammengeschrieben. Man mag sie für simplifizierend und apologetisch halten. Uninteressant sind sie deswegen noch immer nicht…

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Igor Glagolev war bis 1976 ein führender Ge- schichts- und Wirtschaftswissenschafter der UdSSR, der die Spitzen des Staates und der KPdSU in internationalen Fragen beriet und Bücher und Artikel publizierte. Seit zwei Jahren hält sich der 58jährige Absolvent der Universität Leningrad irgendwo im US-Bundesstaat Virginia nahe Washington auf Für die FURCHE hat er exklusiv ein paar Erinnerungen aus seinen Moskauer Tagen zusammengeschrieben. Man mag sie für simplifizierend und apologetisch halten. Uninteressant sind sie deswegen noch immer nicht…

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Ein altes Gebäude auf dem Sta- raya-Platz in Moskau - unaffällig auf den ersten Blick, und doch ist es in Wirklichkeit eines der wichtigsten Gebäude der Welt. Der Stab des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) arbeitet hier. Es übt Macht über die Völker der Sowjetunion und viele andere Staaten Osteuropas, Afrikas, Asiens und Lateinamerikas aus.

Der Stab des ZK arbeitet sieben Tage in der Woche. Seine Mitglieder halten Kontakt mit vielen Menschen. Sie bereiten die Anstellung und Entlassung wichtiger Funktionäre vor, entsenden diese ins Ausland, instruieren Vertreter ausländischer kommunistischer Parteien und bereiten vor allem die Beschlüsse des Politbüros des ZK vor.

Hunderte Male habe ich dieses Haus in den letzten 30 Jahren aufgesucht. Ich nahm an Diskussionen, an der Vorbereitung von Dokumenten und an kritischen Entscheidungen der Partei über Weltprobleme teil. Vor allem war ich an den Arbeiten der internationalen Abteilung beteiligt. Ihr Chef, B.

Ponomarew, ist gleichzeitig Sekretär des ZK und ein Mitgliedskandidat des Politbüros. Er ist einer der mächtigsten politischen Führer der Welt.

Dutzende Dokumente, an deren Vorbereitung ich Anteil hatte, trugen unschuldige Titel: „Wirtschaftliche Vorteile der Abrüstüng“, „Verbot von Atomwaffenversuchen“, „Beschränkung der herkömmlichen Rüstung“, „Beschränkung der Waffenlieferun gen an Länder der Dritten Welt“, „Beschränkung der strategischen Waffen der USA und der UdSSR“, „Kampf für den Frieden“ und ähnliche.

Die Themenwahl ergab sich aus der Tatsache, daß ich einige Zeit die Abrüstungsabteilung des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR leitete und als Mitglied des Weltfriedensrates „gewählt“ war. Dieser Rat, der als überparteiliche internationale Organisation firmiert, ist im übrigen eine Einrichtung, dessen,Mitglieder vom ZK der KPdSU ernannt und diesem untergeordnet sind.

Zusätzlich zu den über Auftrag des ZK vorbereiteten Dokumenten sandte ich dem Politbüro auch etwa zwei Dutzend Papiere aus eigener Initiative. Sie behandelten im wesentlichen gleichfalls die oben erwähnten Themen. Einige dieser Probleme wurden in einer von meinem Standpunkt aus positiven Weise erledigt. So mündete etwa eine Reihe von Papieren über den Abbruch von Kernwaffenversuchen, die von verschiedenen Autoren (unter ihnen A. Sacharow) stammten, 1963 im Atomsperrvertrag. Auch unsere Memoranden über die Nichtverbreitung von Kernwaffen und die Beschränkung militärischer Aktivitäten im Weltraum waren für die späteren Verträge darüber nicht ohne Relevanz.

Freilich ist das Hauptziel meiner Bemühungen und der vieler Mitglieder der KPdSU und der Bevölkerung im allgemeinen nicht erreicht worden: ein Abbruch des Wettrüstens in der UdSSR und die Einstellung aggressiver Kriege, die von der Führung der KPdSU und den sowjetischen Ratgebern abhängiger Länder organisiert wurden.

Nach dem Sturz Chruschtschows, der die herkömmlichen Streitkräfte der Sowjetunion reduziert hatte, änderte sich die Haltung des Zentralkomitees Schritt für Schritt. Dieselben einflußreichen Stabsmitglieder des ZK, die früher eine Beendigung des Wettrüstens verfochten hatten (etwa der Chef der Abteilung für Massenorganisationen, G. Schumejko) behaupteten auf einmal, sie wären nie für eine Abrüstung eingetreten.

Ich verlor allmählich Posten nach Posten, die ich in den Chruschtschow-Jahren inngehabt hatte. Immer seltener zog mich das ZK zur Ausarbeitung von Dokumenten heran. Ich wurde nicht mehr in Delegationen aufgenommen, die zu internationlen Konferenzen fuhren, und sogar meine Korrespondenz mit ausländischen Wissenschaftern wurde gestoppt. Auch durfte ich nicht mehr mit ausländischen Besuchern der UdSSR reden.

Eine meiner letzten Zusammenkünfte mit auswärtigen Politikern war eine auf ZK-Initiative geführte Diskussion mit einer Delegation der Patriotischen Front von Zimbabwe (Rhodesien), die von Nkomo und Mugabe angeführt wird, im sowjetischen Friedenskomitee. Statt über Frieden zu reden, empfahl die Abordnung, in Rhodesien zum Zweck der Schaffung einer prosowjetischen Diktatur einen Krieg anzuzetteln. Die Delegation ersuchte um sowjetisches Geld und um

Waffen. Das ZK entsprach trotz meiner Gegnerschaft diesem Ansinnen.

Mit einem Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei Südafrikas diskutierte ich einige politische Probleme. Dieser weiße Mann, der sein Büro in London hatte, legte mir dar, wie man den schwarzen Rassismus für die Errichtung einer prosowjetischen Diktatur in der Republik Südafrika einspannen kann. Dieser Staat sei unerhört wichtig wegen seiner einzigartigen Vorräte an Gold, Platin, Diamanten, Uran und anderen strategischen Gütern.

Einen schrecklichen Eindruck hinterließ bei mir die schamlose Zertrümmerung des Pariser Friedensabkommens über Vietnam aus dem Jahr 1973 durch die Führer der UdSSR, Chinas und Nordvietnams. Der Plan einer Besetzung Südvietnams durch nordvietnamesische Truppen wurde bei einer Tagung einiger einflußreicher sowjetischer Kommunisten mit dem Botschafter der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams in Moskau schon vor 1973 erörtert.

Es war ganz offenkundig, daß weder das Zentralkomitee der KPdSU noch Hanoi noch dessen südvietnamesische Agenten wie dieser „Botschafter“ das sich abzeichnende Friedensabkommen einhalten wollten. Ich wollte kein Teilhaber einer solch skandalösen Täuschung der Weltöffentlichkeit werden.

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