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NIKOLAI V. PODGORNY / GROSSE POLITIK - AUFGESCHOBEN

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Alles war schon vorbereitet: Bundespräsident und Bundesregierung waren empfangsbereit, die Bevölkerung erwartungsvoll, die Polizei aktiv; rasch wurde noch ein belgischer Rechtsextremist abgeschoben. Doch im allerletzten Augenblick mußte der offizielle Besuch des Staatspräsidenten der Sowjetunion, Nikolai Viktorowitsch Podgorny, ver schoben werden. Der hohe Gast war plötzlich erkrankt. Da es jedoch keine „diplomatische Krankheit" sein dürfte, wird es sich aber wohl nur um eine kurzfristige Verzögerung handeln.

N. V. Podgorny wurde 1903 in der Ukraine, in Karlowka bei Poltawa, geboren — in der Nähe des Schlachtfeldes, auf dem der Schwedenkönig Karl XII. 1709 eine entscheidende Niederlage erlitt. Mit 15 Jahren arbeitete Podgorny als Schlosser, dann studierte er an der Kiewer Hochschule für Technologie in der Nahrungsmittelindustrie. Neben der Arbeit und dem Studium widmete er sich der Aufbauarbeit in der kommunistischen Jugendbewegung Komsomol. Nach der Beendigung des Studiums ging Podgornys Karriere steil aufwärts. Er wirkte zunächst als Ingenieur, dann als Chefingenieur in der Zuckerindustrie, schließlich übernahm er politische Funktionen. Als Stellvertreter des Volkskommissars (Ministers) für die Nahrungsmittelindustrie der Ukraine übernahm er seid erstes Ministeramt. Dieselbe Funktion übte er dann in der Regierung der gesamten Union aus. Von

1946 bis 1950 vertrat Podgorny den ukrainischen Ministerrat bei der Unionsregierung.

1950 begann sein Aufstieg an die Spitze der KPdSU. Er wurde Erster Sekretär des Charkower Gebietsparteikomitees, anschließend Zweiter und schließlich — von 1957 bis 1963 — Erster Sekretär des ZK der ukrainischen KP. 1954 wurde er Abgeordneter des Obersten Sowjets der Sowjetunion, 1956 Mitglied des ZK der KPdSU. 1963 übersiedelte er endgültig nach Moskau, als er, gemeinsam mit Leonid Breschnjew, in das Sekretariat des ZK der KPdSU gewählt wurde. Das Ende der Ära des Ukrainers Chruschtschow im Oktober 1964 änderte nichts an der Stellung des Ukrainers Podgorny, und im Dezember 1965 wurde ihm das (formell) höchste Amt der UdSSR übertragen: Der Oberste Sowjet wählte ihn zum Vorsitzenden des Präsidiums, und als solcher hat Podgorny die Aufgaben eines Staatsoberhauptes des (flächenmäßig) größten Staates der Erde zu erfüllen.

Es ist kein Geheimnis, daß der Visite Podgornys mehr Bedeu tung als einer bloß diplomatischen Geste der Höflichkeit beigemessen wird, und zwar sowohl von sowjetischer als auch von österreichischer Seite. Die Sowjetunion beobachtet die österreichische Neutralität nach wie vor mit größter Aufmerksamkeit, eine Tatsache, auf die man eigentlich nur bei uns manchmal zu vergessen geneigt ist. Verschiedene Beobachter wissen zu berichten, daß Präsident de Gaulle bei seinem Besuch in Moskau mit der sowjetischen Regierung auch über Österreich gesprochen haben soll. Und das ist für das Hauptanliegen der Bundesregierung, die sowjetischen Bedenken gegenüber einem Übereinkommen mit der EWG zu zerstreuen, von allergrößter Bedeutung. Außerdem wird Podgornys Reise, wie jede Reise sowjetischer Spitzenpolitiker ins nichtkommunistische Ausland, von der ganzen Welt mit Aufmerksamkeit verfolgt. Worüber auch mit Präsident Podgorny verhandelt werden wird, welche Ergebnisse auch erzielt werden — in Wien wird wieder einmal, wenn auch in kleinem Maßstab, große Politik gemacht.

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