Die entscheidenden Fragen werden nicht gestellt

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Die Debatte Wehrpflicht versus Berufsheer läuft seltsam verquer. Eine komplexe Materie wird auf eine simple Alternative eingedampft, Sozial- mit Sicherheitspolitik fahrlässig vermengt.

Je näher die Volksbefragung zur Abschaffung oder Beibehaltung der Wehrpflicht - und damit auch des Zivildienstes - rückt, desto mehr verselbstständigt sich die öffentliche Debatte über Argumente pro und kontra, die der Sache nach doch erst an zweiter Stelle stehen. Völlig verquer läuft die Auseinandersetzung, wenn sie lediglich auf die Kostenfrage reduziert wird. Schließlich geht es doch nicht bloß darum, welche Modelle mehr oder weniger kosten, sondern wofür überhaupt das Geld im sicherheitspolitischen wie im sozialen Sektor und im Katastrophenschutz eingesetzt werden soll.

Wer sich z. B. ein Auto kaufen möchte, vergleicht doch nicht bloß, welches Fahrzeug möglichst billig ist oder einen niedrigen Spritverbrauch hat, sondern überlegt zunächst, ob er überhaupt ein Auto braucht und wenn ja, für welche Zwecke. Es sei denn, das Auto ist für seinen Besitzer ein bloßes Statussymbol, bei dem er nur in zweiter Linie darum geht, dass es auch als Fortbewegungs- oder Transportmittel dient.

Verminte Themen

Genauso zweitrangig ist die Frage, ob wir ein reines Berufsheer oder die Beibehaltung der Wehrpflicht und eine Armee aus Berufssoldaten und Grundwehrdienern wollen. Die Kernfrage lautet vielmehr, wozu Österreich überhaupt ein Bundesheer benötigt und welche Aufgaben dieses im Rahmen einer zeitgemäßen Sicherheitsstrategie erfüllen soll. Bei aller Wertschätzung für die Leistungen des Bundesheeres beim Katastrophenschutz: Sie liefern doch noch keine Begründung, wofür Österreich bewaffnete Streitkräfte benötigt. Das Militär ist nun einmal keine freiwillige Feuerwehr. Doch darüber wird derzeit kaum debattiert, obwohl doch die Bundesregierung bereits im März 2011 eine neue Sicherheitsstrategie für Österreich vorgelegt hat. Aber statt über Österreichs sicherheitspolitische Interessen und politisch-strategische Ziele in einer dramatisch veränderten geopolitischen Gesamtlage oder über eher verminte Themen wie Sinn oder Unsinn der Neutralität heute zu diskutieren, wird die komplexe Materie auf die schlichte Frage eingedampft: "a) Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres oder b) sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?“

Dass die Frage der Wehrpflicht mit der des Zivildienstes verquickt ist, liegt zwar historisch betrachtet in der Natur der Sache, weil der Zivildienst schließlich nicht um seiner selbst willen, sondern als möglicher Ersatz für den eigentlich von allen jungen Männern zu leistenden Wehrdienst eingeführt wurde. Insofern liegt es auf der Hand, dass man nun über die Abschaffung der Wehrpflicht nicht ohne Berücksichtigung der Folgen für den Zivildienst und den sozialen Sektor entscheiden kann. Das ändert aber nichts daran, dass die Frage des Wehrdienstes zunächst eine rein sicherheitspolitische und nicht eine sozialpolitische Frage ist.

Zur sicherheitspolitischen Bewertung der Wehrpflicht gehört übrigens auch der demokratiepolitische Aspekt, ob das Bundesheer durch die allgemeine Wehrpflicht als demokratische Institution gestärkt wird - Stichwort "Bürger in Uniform“ - oder ob die Verankerung der Armee im demokratischen Rechtsstaat auch für ein reines Berufsheer gesichert ist. Schließlich gibt es geschichtliche und aktuelle Beispiele dafür, dass eine Armee einen Staat im Staat bildet und Gewalt gegen die eigene Bevölkerung ausübt.

Freilich hat schon Albert Schweitzer zu bedenken gegeben, dass für die allgemeine Wehrpflicht keineswegs von vornherein ausgemacht sei, ob sie der Zivilisierung des Militärs oder der Militarisierung der Zivilgesellschaft Vorschub leistet. Dass die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht schon deshalb wünschenswert sei, weil damit der um sich greifende Egoismus in der jungen Generation eingedämmt würde, wie von manchen ins Feld geführt wird, ist jedenfalls kein ausreichendes Argument.

Typisch österreichische Lösung

Erst recht wird das Pferd vom Schwanz aufgezäumt, wenn von verschiedenen Seiten für die Beibehaltung der Wehrpflicht um des Erhaltes des Zivildienstes willen mobilisiert wird. Allerdings spricht eine Reihe von Gründen für die Beibehaltung des Zivildienstes in seiner bisherigen Form. Seine Abschaffung würde sehr wahrscheinlich die Kosten im Sozial- und Pflegebereich erhöhen, und hinter dem vom Sozialministerium präsentierten Modell eines freiwilligen Sozialen Jahres stehen mehrere Fragezeichen. Dass es kaum Mehrkosten verursachen würde, ist zu bezweifeln. Dass es ausreichend geeignete Bewerber und Bewerberinnen geben würde, um die wegfallenden Zivildiener zu ersetzen, ebenfalls. Und schließlich ginge mit der Abschaffung des Zivildienstes eine wichtige Möglichkeit verloren, gut ausgebildete Ehrenamtliche für Hilfsorganisationen und Rettungsdienste zu gewinnen.

Solange die Politik den sicherheitspolitischen Kernfragen ausweicht, spricht aus pragmatischen Gründen vieles für die Beibehaltung des Status quo - eine typisch österreichische Lösung, die aber weder sicherheitspolitisch noch sozialpolitisch von Dauer sein kann.

* Der Autor ist Professor an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien

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