„Kein Wettkampf der Nationen“

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Der Chefökonom der UNO-Handelskonferenz Heiner Flassbeck über den gescheiterten UNO-Gipfel zur Krise der Weltwirtschaft und die Dialogverweigerung der Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern.

Heiner Flassbeck ist seit 2000 der leitende Volkswirtschafter der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung in Genf. Anlässlich der UN-Konferenz zur Reform der Finanzmärkte in New York baten ihn der Publizist Christian Felber und Attac-Obfrau Karin Küblböck zum Gespräch.

DIE FURCHE: Die Delegierten der UN-Konferenz waren von erstaunlich niedrigem Rang. Österreich schickte nur einen Staatssekretär, Deutschland die Entwicklungsministerin, während Angela Merkel zum G-20-Gipfel fuhr.

Heiner Flassbeck: Es gab von Anfang an eine wenig konstruktive Haltung vonseiten der Industrieländer, weil sie die großen wirtschaftlichen und monetären Fragen nicht von den Vereinten Nationen behandelt sehen wollen. Sie wollen diese Fragen weiterhin im Weltwährungsfonds und in der Weltbank verhandeln, weil sie hier von vorneherein eine klare Mehrheit haben. Aber das ist keine global zukunftsfähige Position. Relevante Änderungen des Gesamtsystems müssen in der „G192“ vorgenommen werden.

DIE FURCHE: Wie bewerten Sie die Ergebnisse der Konferenz?

Flassbeck: Nun, immerhin hat die Konferenz die wichtigen Fragen zur Kenntnis genommen und das zum Teil klarer und besser als der G-20-Gipfel in London im April.

DIE FURCHE: Der G-20-Prozess wurde rasch als „Bretton Woods II“ bezeichnet. Jetzt gibt es eine UN-Konferenz mit dem gleichen Ziel. Muss die G-20 den Titel abgeben?

Flassbeck: Die G-20 kann man gar nicht als Bretton Woods II bezeichnen. Das sind ja nur 20 Staaten. An Bretton Woods I 1944 nahmen schon mehr als 40 Staaten teil. Außerdem greifen die G-20 die Frage eines globalen Währungs- und Wechselkurssystems nicht auf.

DIE FURCHE: Die G-20-Deklaration stellt klar, dass der freie Kapitalverkehr nicht zur Diskussion steht, der Bericht der UN-Expertenkommission rund um Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz spricht von Transaktionssteuern und Kapitalverkehrskontrollen. Wie ist Ihre Position?

Flassbeck: Eine Lenkung und Beschränkung des Kapitalverkehrs ist auch UNCTAD-Position. Doch die Stiglitz-Position ist nur der erste Schritt. Wenn Autos gegen die Wand fahren, müssen sie nicht nur verlangsamt, sondern gestoppt werden. Bestimmte Straßen dürfen gar nicht befahren werden.

DIE FURCHE: Welche wären das?

Flassbeck: Spekulation mit Währungen, Rohstoffen und Nahrungsmitteln, aber auch Private-Equity-Fonds. Die müssen geschlossen werden.

DIE FURCHE: Wie wollen Sie das Spiel mit Rohstoff-Derivaten beenden?

Flassbeck: Indem in jeden Vertrag hineingeschrieben werden muss, dass die Ware am Ende der Laufzeit auch abgenommen werden muss. Dann ist das Spiel vorbei. So große Lagerhallen haben die Finanzspekulanten nicht.

DIE FURCHE: Und im Währungsbereich?

Flassbeck: Indem wir ein geregeltes Währungssystem einführen und die Wechselkursbildung nicht mehr dem Markt überlassen. Der Kern meines Vorschlags ist die Beendigung der Währungskonkurrenz durch „constant real exchange rates“: Sobald sich die Inflation in zwei Volkswirtschaften unterschiedlich entwickelt, kommt es zur Anpassung der Wechselkurse. Damit hätte kein Land absolute Vorteile, die Währungskonkurrenz wäre zu Ende.

DIE FURCHE: Wäre der Kapitalverkehr in Ihrem Modell frei?

Flassbeck: Ganz frei geht nie. Man kann nicht täglich die Wechselkurse anpassen. Und zwischen den Anpassungen gibt es Spekulation.

DIE FURCHE: Also braucht es zusätzlich die Tobinsteuer?

Flassbeck: Die reicht nicht bei intensiver Spekulation.

DIE FURCHE: Dafür gibt es mittlerweile die zweistufige Tobinsteuer nach Paul Bernhard Spahn, die bei akuter Spekulation auf bis zu 100 Prozent ansteigt.

Flassbeck: Ja, die wäre genau das richtige für feste, aber regelmäßig angepasste Wechselkurse.

DIE FURCHE: Die Stiglitz-Kommission schlägt eine Weltfinanzbehörde vor, die einem koordinierenden Weltwirtschaftsrat in der UNO unterstellt werden soll. Ist das die richtige Richtung?

Flassbeck: Ja, das ist sie. Aber diese Behörde müsste stärker gegen die Ökonomen des IWF auftreten, sonst hätte sie keinen Erfolg. Das Totschlagargument der Industrieländer in der UNO lautet immer: Die UNO hat keine Expertise. Deshalb wäre es wichtig, eine unabhängige Expertenkommission zu bilden, welche die Vereinten Nationen permanent berät.

DIE FURCHE: Wäre das nicht ähnlich undemokratisch wie die für ihre Unabhängigkeit kritisierte EZB?

Flassbeck: Ich finde eine Konstruktion wie die des UN-Klimabeirates sehr vernünftig. Dieser ist sehr groß und kann trotzdem Entscheidungen treffen. Das ist keine Elite wie die Notenbanker der EZB. Außerdem kommen die UN-Experten aus unterschiedlichsten Disziplinen, was zu ganzheitlicheren Ergebnissen führt.

DIE FURCHE: Wie erklären Sie sich, dass die politische Elite der EU weder den auf John M. Keynes basierenden Vorschlag von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz noch den Ihren unterstützt?

Flassbeck: Sie fürchten, dass sie dann an Gewicht und Einfluss verlieren würden, weil sie glauben, dass der gegenwärtige Zustand mit der Dollarhegemonie die bessere Machtbalance darstellt. Sie sehen dabei nicht die negativen Nebenwirkungen wie gerade in Osteuropa, das wird gar nicht zur Kenntnis genommen, weil sie diese Krisen für ein Naturgesetz halten. Das ist Dummheit und Ignoranz.

DIE FURCHE: Sollen die Banken gerettet werden?

Flassbeck: Ich finde es nicht vernünftig, das Problem von der Bankenseite anzugehen. Besser wäre es, Osteuropa von der Währungsseite her zu betrachten: Die Wechselkurse müssen stabilisiert werden. Das derzeitige Auf und Ab in Rumänien, Ungarn und anderen Ländern ist absurd und Wahnsinn. Ziel muss internationale Kooperation sein. Wir brauchen eine Osteuropakonferenz und so etwas wie ein Europäisches Währungssystem II: keine frei schwankenden, sondern feste und anpassungsfähige Wechselkurse, die sich schrittweise dem Euro annähern. Dem Euro fehlt aber etwas Entscheidendes: eine koordinierte Wirtschafts-, Fiskal- und Lohnpolitik. Es bräuchte Lohnanpassungspfade. Das geht nur über mehr internationale Kooperation.

DIE FURCHE: Experten rechnen damit, dass das erste staatliche Rettungspaket für die österreichischen Banken nicht ausreichen wird. Soll ein zweites geschnürt werden?

Flassbeck: Ich bin sicher, dass die Banken noch mehr leiden werden. Der Staat soll aber nicht immer einspringen. Die einzig vernünftige Lösung ist, die Banken zu verstaatlichen: Die systemrelevanten Teile müssen herausgenommen werden, der Rest muss verschwinden. Der Staat sollte für jeden Euro, den er gibt, einen entsprechenden Aktienanteil erhalten. Dann würden sich jetzt schon mehr als 50 Prozent der Banken in Deutschland im Staatseigentum befinden. Und die Deutsche Bank würde dem US-Staat gehören, weil sie 13 Milliarden US-Dollar aus dem Rettungspaket für AIG erhielt. Und dann redet Ackermann von 25 Prozent Rendite für die Aktionäre!

DIE FURCHE: Sollen die verbleibenden Banken in der EU, der OECD („Basel III“), der G-20 oder der UNO reguliert werden?

Flassbeck: Hier gebe ich Stiglitz mit seiner Weltfinanzbehörde völlig recht. Neue Regeln müssen in einem repräsentativen Gremium gemacht werden, nicht in solchen Clübchens, wie Basel einer ist. Das werden sich die Entwicklungsländer nicht mehr gefallen lassen.

DIE FURCHE: Österreich hütet als eines der drei letzten Länder in der EU ein strenges Bankgeheimnis. Soll es gelüftet werden?

Flassbeck: Dass Österreich diese Sonderstellung nicht aufrechterhalten wird können, ist völlig richtig. Allerdings hat diese Frage systemisch mit der Finanzkrise wenig zu tun. Dass wir jetzt so prominent über Steueroasen und das Bankgeheimnis diskutieren, zeigt, dass Politiker versuchen, die einfachsten Probleme zu lösen, um die großen – wie die Frage nach dem Währungssystem – nicht anpacken zu müssen. Was auch viel wichtiger ist: der massive Steuerwettbewerb, bei dem alle Politiker, die auf die Steueroasen schimpfen, mitmachen. Die Körperschaftssteuer geht in der Europäischen Union gegen null. Der negative Effekt des Steuerwettbewerbs auf die Budgets ist viel schlimmer als der des Bankgeheimnisses. Mein Credo lautet daher: Kein Wettkampf der Nationen!

* Das Gespräch führten Christian Felber und Karin Küblböck

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