Liebe - erste Sprache des Lebens

Werbung
Werbung
Werbung

Die von Chiara Lubich gegründete Fokolarbewegung will Mystik im Alltag verwirklichen - vom Friedensengagement bis zum Dialog in vielerlei Form.

Die Fokolar-Bewegung und ihre Gründerin Chiara Lubich in den Medien: Dialog mit den Black Muslims in den USA; zahlreiche Ehrendoktorate für Chiara Lubich; Zusammenarbeit mit der Gemeinde von Sant' Egidio gegen die Todesstrafe; ein Jugend-Event am 3. November im Wiener Stephansdom ... Offensichtlich ein neues Subjekt in der katholischen Welt. Was dahinter steht, ist vielen weniger bekannt.

Eine erste Auskunft mag heißen: eine der kirchlichen Bewegungen und Gemeinschaften, die in den letzten Jahren auch im deutschen Sprachraum bekannt geworden sind. Sosehr sich die Fokolarbewegung selbst einer solchen Einordnung nicht verschließt - sie erweist sich als nicht besonders hilfreich. Zu unterschiedlich sind die Gemeinschaften und Gruppen, die mit dieser gemeinsamen Überschrift versehen werden. Wahrscheinlich ist es hilfreicher, das zu tun, was in der Fokolarbewegung selbst üblich ist: die Geschichte dieser Bewegung ins Auge zu erzählen. Sie ist untrennbar verbunden mit dem Namen und dem Leben einer Lehrerin aus Trient, der heute 80-jährigen Chiara Lubich. Zusammen mit anderen Jugendlichen hat sie im Zweiten Weltkrieg während der Bombardierung ihrer Heimatstadt das Evangelium neu entdeckt. Was sich unspektakulär anhört, war in der römisch-katholischen Kirche damals doch einigermaßen ungewöhnlich.

Spiritualität: Einheit

Ihre Entdeckung haben die jungen Leute mit einem Satz aus dem Neuen Testament zusammengefasst: "Wir haben an die Liebe geglaubt, die Gott zu uns hat." (1 Joh 4,16) Mit seltener Konsequenz machen sie diesen Satz zum Schlüssel für ihren Glauben und ihr Leben. Sie wollen auf diese Liebe antworten. Im Johannesevangelium finden sie die Aufgabe, für die sie sich engagieren wollen: "Alle sollen eins sein" (Joh 17,21). Damit ist das erste Stichwort der neuen Spiritualität gefallen: Einheit.

Für die nahe liegende Frage, wie diese Einheit verwirklicht und gelebt werden kann, findet Chiara Lubich die Antwort im Sterben Jesu und seinem Schrei "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!" (Mk 15,34). Damit ist das zweite, entscheidende Stichwort gefallen: der am Kreuz verlassene Christus. Er wird als der erkannt, der sich Gott mit letzter Konsequenz zu Verfügung stellt - sosehr, dass er sogar seine Einheit mit dem Vater zu verlieren scheint. Diese Dunkelheit, die er auf sich nimmt, ist die letzte Konsequenz seiner Liebe zu Gott, und gerade dadurch stiftet er Einheit mit Gott und unter den Menschen.

Und so ist der am Kreuz verlassene Jesus für die Mitglieder der Fokolarbewegung der Angelpunkt einer "Spiritualität der Einheit", die alle Lebensbereiche im Licht der gegenseitigen Liebe zu gestalten versucht - auch Wirtschaft, Politik und Kunst. Das ganze Leben und nicht nur seine Sonnenseite ist von der Verheißung geprägt, dass dort, wo zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind, er mitten unter ihnen ist (vgl. Mt 18,20). So erweist sich die Liebe als eine Sprache, die über alle Grenzen hinweg verstanden wird und zugleich die innerste Mitte des christlichen Glaubens sichtbar macht. Die Liebe, verstanden und gelebt mit dieser Tiefendimension wird zu einer "Mystik des Alltags". Der Christ der Zukunft werde ein Mystiker sein, oder es werde ihn nicht geben, hat Karl Rahner vor vielen Jahren in einem vielzitierten Wort gesagt. Die gemeinschaftliche Spiritualität der Fokolarbewegung scheint dafür einen Weg anzubieten.

Diese Spiritualität wird seit über 50 Jahren in vielen Bereichen der Weltkirche gelebt. Kirchenrechtlich ist die Fokolarbewegung heute unter dem Namen "Werk Mariens" als "pia unio" anerkannt und soll immer von einer Frau geleitet werden. Sie ist weit gefächert, ihren Kern bilden kleine Wohn- und Lebensgemeinschaften (Fokolare) von Frauen oder Männern. Auf unterschiedliche Weise können sich ihr auch Frauen und Männer anderer Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen anschließen.

Die Felder, auf denen sich die Fokolarbewegung heute weltweit engagiert, können in Form von vier Dialogen umschrieben werden: Der innerkirchliche Dialog ist zum Beispiel der Zusammenarbeit zwischen kirchlichen Gemeinschaften gewidmet. Dazu kommt der ökumenische Dialog und das Bemühen um die Einheit der Kirche. Die "Ökumene des Volkes" wird dabei besonders betont - die Einheit im alltäglichen Leben trotz bestehender Unterschiede, die nicht überspielt, sondern ernstgenommen werden. Dafür kommt im deutschen Sprachraum der ökumenischen Modellsiedlung von Ottmaring bei Augsburg besondere Bedeutung zu.

Dialog der Religionen

In einem weiteren Kreis engagiert sich die Fokolarbewegung im Dialog mit den Weltreligionen, zum Beispiel mit Buddhisten und den Black Muslims in den USA. Bereits 1977 ist Chiara Lubich in London der Templeton-Preis für den Fortschritt der Religionen verliehen worden; außerdem ist sie Ehrenpräsidentin der WCRP (Weltkonferenz der Religionen für den Frieden). Schließlich weiß sich die Fokolarbewegung auch dem Dialog mit Menschen nichtreligiöser Weltanschauung verpflichtet.

Natürlich gibt es auch kritische Anfragen, nicht zuletzt aus den eigenen Reihen. Wo die Ethik der Bergpredigt so deutlich auf die Fahnen geschrieben wird, schmerzt Versagen doppelt. Daneben stellt sich die nicht immer leichte Aufgabe, das Wesentliche dieser Spiritualität aus dem katholischen Nachkriegsitalien in die vielen Kontexte der Gegenwart zu übertragen. Nicht zuletzt bleibt die Frage aktuell, wie der Binnenraum der eigenen Mentalität und Insidersprache immer wieder überschritten werden kann.

In einer Art Zwischenbilanz kann heute nicht zuletzt auf zahlreiche Initiativen im Bereich von Wirtschaft, Politik, Erziehung und Kunst hingewiesen werden.

Dass Papst Johannes-Paul II. in seinem Schreiben "Novo millennio ineunte" der Kirche am Beginn des neuen Jahrtausends ausdrücklich eine "Spiritualität der Gemeinschaft" empfiehlt und dazu auch auf den gekreuzigten und verlassenen Christus verweist - das kann durchaus als Bestätigung gesehen werden für den weiten Weg, der zwischen Trient und heute zurückgelegt worden ist.

Der Autorist Professor für Dogmatische Theologie an der Universität Graz.

Hinweise

Chiara Lubich in Österreich

3. November, 14.30 bis 22.30 Uhr, in und rund um den Stephansdom

Jugendevent "Ruf!zeichen"

unter anderem mit Chiara Lubich und der Gruppe "Gen verde"

9.-10. November, Congress Innsbruck

1000 Städtefür Europa - Kongress der Bürgermeister Europas

11. November, 14.00 Uhr, Kulturzentrum Eisenstadt

"Aufbruch zur Erneuerung in der Kirche"

Martinsfest der Diözese Eisenstadt mit Chiara Lubich

Information: Fokolar-Bewegung,

1230 Wien, Meyrinkgasse 7

Tel. 01/8893093-500, Fax: -990

Web: www.fokolare.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung