Gallische Dörfer DES GELDES

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In das Thema Geldreform kommt Bewegung: Nachdem der Vorschlag für eine "Vollgeld-Reform" jahrelang weitgehend unbeachtet blieb, verdichten sich nun die Ereignisse: In der Schweiz hat eine Volksinitiative mehr als die Hälfte der nötigen Unterschriften gesammelt, Umfragen sagen bis zu 72 Prozent Zustimmung voraus. In Island plant die Regierung eine "sovereign money reform". Die aktuellen Entwicklungen haben Vorgeschichte: Während der Großen Depression der 1930er-Jahre entwickelten US-Ökonomen rund um Irving Fisher die Idee einer vollständig Deckung der Kontostände bei Banken mit Reserven bei der Zentralbank: "100-Percent money". Die Erwartungen waren geradezu paradiesisch: Rückgang der Instabilität, Ende von Bankruns, weniger Inflation und Staatsschulden. Fisher schrieb 1935: "Es könnte sogar dazu kommen (wenn nicht eine Katastrophe wie ein Weltkrieg passiert), dass die Staatsschuld eliminiert wird." Präsident Roosevelt begutachtete den visionären Plan, doch das Lobbying Großbanken verhinderten seine Umsetzung. 80 Jahre später rechneten zwei IWF-Ökonomen nach und kamen zum Schluss: "Wir haben klare Belege für alle vier Annahmen von Fisher gefunden."

Die großen Schritte

Während die IWF-Ökonomen noch das alte Modell prüften, war in Europa die Grundidee weiterentwickelt zum "Vollgeld" oder "sovereign money". Die Kernidee ist, dass Geld einen Schritt weiter in Richtung "öffentliches Gut" entwickelt wird, zumal es eine fundamentale Infrastruktur für Wirtschaft und Gesellschaft darstellt. Schritt eins war die Verstaatlichung der Zentralbanken. Schritt zwei ihr Monopol auf die Ausgabe von Banknoten (Bargeld), das steht bereits in den meisten Verfassungen. Schritt drei wäre die Ausweitung des Monopols auf die Ausgabe von "Buchgeld", also elektronischem Geld. Dieser Schritt mag manche verwundern, denn die Tatsache, dass der Großteil des Giralgeldes (auf Girokonten) von den Geschäftsbanken erschaffen wird, ist immer noch nicht sehr bekannt. Umfragen zufolge würden 90 Prozent der Menschen eine "Reform" ablehnen, welche die Geldschöpfung in die Hände privater Banken legte - nicht wissend, dass dies heute schon so ist. Banken schaffen Geld auf zwei Arten: Zum einen, indem sie einen Kredit vergeben (neue Forderung auf der Aktivseite ihrer Bilanz) und gleichzeitig die Kreditsumme auf einem Girokonto gutschreiben (Passivseite). Zwar wird der Kredit sodann verwendet und überwiesen, z. B. auf ein Konto bei einer anderen Bank, doch wenn diese dasselbe mit einem weiteren Kredit macht, wird in beiden Banken Geld neu geschaffen. Der zweite Weg privater Geldschöpfung besteht darin, dass eine Bank ein Wertpapier, zum Beispiel eine Aktie oder eine Anleihe, kauft und dem Verkäufer die Kaufsumme auf einem Girokonto gutschreibt. Auch das verlängert die Bilanz und erhöht die Geldmenge. Wenn Banken einen Finanzboom sowohl mit eigenen Wertpapierkäufen als auch mit (Finanz-)Krediten befeuern, explodiert die Geldmenge.

Durch eine Vollgeld-Reform wären beide Vorgänge nicht mehr möglich, weil die Girokonten nicht mehr Teil der Bankbilanzen wären. "Vollgeld-Konten" würden zwar gleich wie heute von den Banken verwaltet, sie blieben jedoch im Besitz des Kunden oder der Kundin, die Bank könnte damit nicht operieren. Neues Geld entsteht in einem Vollgeld-Regime, indem es von der Zentralbank geschöpft und der Allgemeinheit geschenkt wird. Ein möglicher Weg ist der direkte Fluss in den Staatshaushalt. Die Geldmenge könnte von der Zentralbank in einer stabilen Relation zur Wirtschaftsleistung gehalten werden, zum Beispiel 50 Prozent des BIP (die gegenwärtige Summe aus Bargeld und Girokontoguthaben "M1"). Jährlich wird die Geldmenge im erwarteten Ausmaß der BIP-Entwicklung erhöht oder verringert. Sollte sich herausstellen, dass eine andere Geldmenge passender ist, kann sie jederzeit ausgeweitet oder kontrahiert werden: Anders als von Kritikern und Kritikerinnen befürchtet, besteht auch im Vollgeld-Regime die Möglichkeit, dass die Zentralbanken den Geschäftsbanken direkt Kredite vergeben, falls die Spareinlagen nicht ausreichen sollten, um die reale volkswirtschaftliche Kreditnachfrage zu decken. Der Schöpfungsgewinn, die Differenz zwischen dem Nennwert des neuen Geldes und seiner Herstellungskosten, kommt im Vollgeld-Regime der Allgemeinheit zugute. Bisher ging der milliardenschwere Geldschöpfungsgewinn an die Geschäftsbanken.

Vorteile einer Reform

Die Vollgeld-Reform bietet weitere Vorteile: Zumal die Girokonten im Besitz der BankkundInnen verbleiben, sind sie bei der Insolvenz der Bank ausfallsicher. Deshalb wäre auch der Zahlungsverkehr durch Bankinsolvenzen nicht mehr gefährdet, und Bankenrettungen zur Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs würden sich erübrigen.

Nur wenn Kunden bewusst Geld investieren (heute "sparen") und zu Gläubigern oder Gläubigerinnen der Banken werden, wandert das Geld in die Bank-Bilanz und damit in den Besitz der Bank. Hierfür könnte die Spareinlagensicherung beibehalten werden - für die Geldkonten bräuchte es diese nicht. Nach einer Vollgeld-Reform könnten nur Spargelder, die von den Kunden zur Bank gebracht werden, für Kredite verwendet werden: Banken würden dem Bild entsprechen, das die Bevölkerung heute von ihnen hat.

Halbierung von Staatsschulden

Der größte und für viele unvorstellbare Vorteil ist der "Umwandlungsgewinn": Da in der Übergangszeit das bestehende Giralgeld im Ausmaß von rund 50 Prozent des BIP umgebucht würde in von der Zentralbank ausgegebenes Vollgeld, entsteht auf der Passivseite der Zentralbank-Bilanz eine Verbindlichkeit, für die eine gleich hohe Position auf der Aktivseite frei wird. Hier könnte dem Staat ein nicht rückzahlbarer Kredit in gleicher Höhe gewährt werden. Mit dieser Buchung könnten die Staatsschulden in der Euro-Zone von derzeit fast 100 Prozent auf maastrichtkonforme 50 Prozent reduziert werden. Dieser unglaubliche Vorteil wurde bislang von keinem Kritiker in Frage gestellt. Das Unerhörteste an der Vollgeld-Reform ist somit, dass sie nicht breit und ernsthaft diskutiert wird.

Der häufigste Kritikpunkt an der Idee ist die Frage der Steuerbarkeit der Geldmenge. Kritiker werfen den Vollgeld-Erfindern Nähe zum - gescheiterten - Monetarismus vor. Die Studie der isländischen Regierung argumentiert: Vor der Krise hat sich die Geldmenge in Island um den Faktor 19 erhöht -das war keine Entscheidung der Zentralbank, sondern Werk der Geschäftsbanken. Für manche Befürwortern geht es primär um andere Vorteile. Unumstritten ist, dass die Vollgeld-Reform nur ein Baustein einer umfassenden Demokratisierung des Geldsystems sein kann. Weitere essenzielle Bausteine sind eine Größengrenze für Banken, die Regulierung von Krediten, eine Zulassungsprüfung für neue Finanzprodukte und die Bedingung des freien Kapitalverkehrs an Steuerkooperation. Alle Reformvorschläge könnten in "dezentralen Geld-Konventen" diskutiert werden, welche über die Bausteine der zukünftigen Geldordnung entscheiden. Einen Leitfaden, wie ein solcher Konvent organisiert werden könnte, wurde von der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung entwickelt. Nun wird das erste "gallische Dorf" gesucht ...

GELD Die neuen Spielregeln Von Christian Felber, Deuticke 2014.302 Seiten, Hardcover, € 18,90

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