Die Berührung bleibt aus

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"Joseph und seine Brüder“ zählt zum Hauptwerk von Thomas Mann. In dem vierteiligen Zyklus verbindet er die alttestamentarische Legende mit seinen Erfahrungen im Exil.

Am Theater in der Josefstadt baut man auf den berühmten Namen des Autors Thomas Mann, nicht zuletzt konnte das Haus bereits mit den "Buddenbrooks“ einen großen Erfolg verbuchen. Der Dramaturg und Bühnenbildner Herbert Schäfer bearbeitete aus dem umfangreichen Werk jenen Teil, der von Josephs Zeit in Ägypten bei Potiphar und dessen Frau Mut-em-enet erzählt. Schließlich eignet sich dieser Part hervorragend, um den Stoff kompakt zu vermitteln. Außerdem ist die Konstellation überschaubar: Potiphar wurde als Kind kastriert, so konnte er Karriere als Groß-Eunuch des Pharaos machen. Seine Ehefrau Mut wurde ihm früh bestimmt, die Etikette musste passen. Mut-em-enet wuchs zur Frau heran und erfüllte die eingeforderte, so genannte "temperaturlose weibliche Weltlichkeit“, bis der junge Joseph nach Ägypten in den Sklavendienst Potiphars kam.

Verführung zu Lust und Glück

Mut erkennt in Joseph sprießende Männlichkeit und erahnt, was ihr dieser Bursche bedeuten wird. Sie bittet - vorausschauend - Potiphar, den verführerischen jungen Mann wegzuschicken, doch der Kastrat ist selbst verzückt von seinem Diener. So wird Joseph beiden gleichermaßen zum Wunschbild: Potiphar als Ersatz für die verlorene Männlichkeit, Mut als Objekt lebendiger Lust. Denn Lust und Glück, Glück und Lust, so räsoniert sie, hängen zusammen, und oftmals resultiert das eine aus dem anderen. Vergönnt ist ihr diese Lust nicht, denn der standhafte Joseph folgt strengen Moralvorstellungen und widersteht ihren Avancen.

Dennoch lautet der Titel der Bearbeitung: "Joseph und seine Brüder - Die Berührte“. Josephs Brüder kommen zwar nicht vor, und auch von Berührung kann leider keine Rede sein, aber von der Sehnsucht danach. Bildzeichen auf der eleganten, goldenen Bühnenwand bilden die Schlüsselbotschaft: Die unberührte Mut wünscht sich die Erlösung ihrer Begierden. Da diese nicht eintrifft, entwickelt sie sich von der Schwanenkönigin zur Hexe. "Liebesvettel, Hündin, Schlange“ schimpft sie Joseph. Sandra Cervik spielt diese Mut ungehemmt und überzeugend. Ihr gelingen die Facetten der Wandlung, von der (zwangs)keuschen Frau, vom Entfachen der Sehnsüchte bis hin zur einsamen Verzweifelten. Manchmal allerdings baut Cervik zu sehr auf bewährte Mittel, etwa wenn sie die Zerbrechlichkeit der Figur über ihre rauchige, brüchige Stimme demonstriert.

Symbolik statt Dramatik

Den Potiphar gibt Toni Arango als eleganten, androgynen Dandy. Dauerrauchend gibt er den "Mann mit der zarten Stimme und dem melancholischen Gemüt“. Florian Teichtmeisters Joseph ist eher braver Hausverwalter als Mannsbild, die Testosteron-lechzende Mut denkt mehr an die Vorstellung erfüllter Sexualität als an das echte Objekt ihrer Begierde. Dabei muss ein interessanter Mann nicht unbedingt von Muskeln strotzen, ein wenig Widerständigkeit, Charme oder Witz können oft weitaus attraktiver wirken. Welchen Reiz dieser Joseph ausübt, bleibt hier unklar. Doch geht es Regisseur Krämer ohnehin mehr um die Symbolik als ums Dramatische. So erzählen die Figuren von sich in der dritten Person und offenbaren ihre Gefühle über das Wort. Allein die grandiose Erni Mangold ist als Conférencier Dûdu eine Handelnde.

Die Szenerie hat etwas von einem psychoanalytischen Setting: Mut posiert auf einer (Freud-)Couch, zu ihren Füßen liegen saftige Granatäpfel, um sie kreischen knapp bekleidete junge Frauen mit knallroten Lippen. Das erzeugt eine erotisch aufgeladene Atmosphäre. Mut trägt dekolletéfreie schwarze und goldene Kleider, in welchen sie sich wie eine Schlange windet, während sie ihren immer wiederkehrenden Traum vom scharfen Messer, der in süße Äpfel schneidet und eine tiefe Wunde schlägt, erzählt. Der Traum rahmt die Geschichte, mit dem Sukkurs: Das Geschlecht ist die Wunde. Freuds Erkenntnisse haben Thomas Mann tief beeindruckt und er verbindet auf seine unnachahmbare Weise Altes Testament, Mythos, Wissenschaft und Dichtung zu einer überzeitlich spannenden Fabel.

Die klug eingerichtete Bühne von Herbert Schäfer bildet dafür den eleganten, beeindruckenden Rahmen. Auch die Wahl der Musik unterstützt Krämers genauen Zugriff: So etwa die Polonaise aus Wong Kar-Wais "2046“, seinem Film über eine Liebe, die sich die Erfüllung versagt. Oder mit Gustav Mahlers Adagietto aus der 5. Symphonie. Günter Krämers Inszenierung bewirkt einen Sog, vor allem im ersten Teil. Im zweiten Teil dann zeigen sich die Gefahren: Nämlich, dass es sich um einen Roman handelt, der eben anders als ein Drama funktioniert.

Joseph und seine Brüder - Die Berührte

Theater in der Josefstadt

14., 15., 16., 26., 27., 28. Jänner

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