"Gespenst, umgeben von Leben"

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Im Juni 1945 kehrt die Auschwitz-Überlebende Nelly mit zunächst zerstörtem Gesicht nach Berlin zurück und sucht Ehemann Johnny: Daraus entwickelt sich die Story von "Phoenix" (siehe Filmkritik) - und das FURCHE-Gespräch mit Regisseur C. Petzold.

DIE FURCHE: Warum zeigen Sie das Gesicht der Hauptfigur Nelly nie, wie es zerstört aussieht?

Christian Petzold: Hans Belting schreibt in seinem Text "Faces" (2013):"Gesichtsverlust ist Gesellschaftsverlust." Ohne dein Gesicht bist du nichts. Niemand kann in dir etwas lesen, du bist ohne Persönlichkeit. Ich wollte nicht damit anfangen, ein verlorenes Paradies zu zeigen, das machen Filme viel zu oft: einen Urzustand zu bewerben. Man kann den Urzustand aber nie wieder rekonstruieren, warum soll ich das in meinem Film versuchen? Kino ist Gegenwart und das, was in diese Gegenwart hineinragt, das, was wir spüren, unsere Wünsche und Sentimentalitäten. Es gibt für Nelly keinen idyllischen Ort, sondern der Ort ist sie selbst.

DIE FURCHE: In "Phoenix" tun tatsächlich alle so, als wäre der Krieg vorbei und alles schon wieder gut.

Petzold: In diesem Sinne ist das auch kein Trümmerfilm. Die Trümmer sind ja schon negiert. Alle tun, als gäbe es schon wieder Geld, und die Amerikaner sind da und es gibt Musik, man tanzt und hat Spaß. Die einzigen Trümmer in dem Film sind ja sie selber.

DIE FURCHE: "Niemand wird sich für deine Geschichte interessieren", sagt Johnny wiederholt zu Nelly. Ist das nicht ein erschreckender Satz?

Petzold: Als wir diese Szene in dem Keller gedreht haben und Ronald Zehrfeld das so sagt, da haben wir alle einen Schock bekommen. Es wurde uns plötzlich klar: Ja, genau so ist es, das ist gruselig. Zudem ist Nelly eine ambivalente Figur. Die Menschen wollen auch deswegen nichts mit ihr zu tun haben, weil sie an ihrer Beschädigung beteiligt waren. Diese Beschädigung überhaupt wahrzunehmen wäre schon wie ein Eingeständnis von Schuld. Das ist auch typisch deutsch: Wir bezahlen für Israel, verlieren darüber aber kein Wort. Eine klassische Schmerzensgeld-Lösung, der Versuch, etwas aus der Welt zu schaffen, indem man es bezahlt. Es gibt dafür aber keine Währung.

DIE FURCHE: Warum ist ein Keller der geeignete Ort, an dem Nelly wiederauferstehen soll?

Petzold: Mein Vater erzählte mir einmal, dass der Sommer 1945 der glücklichste seiner Kindheit war. Er hat in den Kriegstrümmern Glück empfunden, weil sie für ihn als Achtjährigen ein Spielplatz waren, die Keller, die Bombengräben. Es gab keine Schule, keine Polizisten -das ist doch ein Kinderparadies. Für "Phoenix" wollte ich, dass das Licht luftig ist. Offene Fenster, durch die der Lärm und das Getrappel der Stadt zu hören sind, so dass man merkt, dass das Leben weitergeht nach der Katastrophe. Denn ein Gespenst wird erst dann zum Gespenst, wenn es von Leben umgeben ist. Wenn alles gespenstisch ist, scheint nichts mehr gespenstisch.

DIE FURCHE: Und Nelly bewegt sich oft nachts, also wie ein Vampir ...Petzold: Ja, sie ist in gewisser Weise der Inbegriff für ein politisch und moralisch hergestelltes Gespenst, und auch für den Versuch, Liebe über ein Unterdrückungssystem hinweg zu retten.

DIE FURCHE: Das klingt unmöglich. Petzold: Es ist fast schon Mythologie. Dem Film liegt zwar ein Roman von Hubert Monteilhets zu Grunde, aber der entscheidende Text war "Ein Liebesversuch" von Alexander Kluge. Da geht es um die fiktive Befragung einer Gruppe von Ärzten, die testen wollten, ob die Sterilisation durch Röntgenstrahlung erfolgreich war und zu arrangieren versuchen, dass eine Frau noch einmal beschlafen wird. Sie finden heraus, dass die Frau und ein Jude eine leidenschaftliche Liebesgeschichte hatten. Also bringen sie beide in eine Zelle, aber nichts passiert. So versuchen die Ärzte, die Liebe von außen zu erzeugen: Champagner, Kerzen, rotes Licht; sie spritzen die beiden Häftlinge mit kaltem Wasser ab, damit das Wärmebedürfnis sie zueinander treibt. Nach einer Woche geben die Ärzte auf; die Versuchspersonen werden erschossen. Alle Schauspieler haben diesen Text für "Phoenix" gelesen.

DIE FURCHE: In der Film-Vorbereitung verbringen Sie mit den Schauspielern viel Zeit in den Kulissen ...Petzold: Um ein Gefühl für diesen Geschichtsraum zu bekommen, in dem noch die Aura herrscht von dem, was einmal war. Deshalb bauen wir ganze Wohnungen original nach und achten auf alle Details. Wenn eine Schauspielerin barfuß über das Parkett geht, knarrt es, und wir wissen, dass es nach altem Bienenwachs riecht. Das ist eine Sinnlichkeit, die ich wichtig finde, wenn man mit Geschichte umgeht. Dass man sie spürt, körperlich, als fühlte man einen Atem.

DIE FURCHE: Sie sagten über diesen Film, Sie wollten herausfinden, ob man "1945" erzählen kann wie ein Melodram von Douglas Sirk.

Petzold: Das Tolle an Sirk ist, dass in dem Moment, da etwas zu Ende geht, nochmals die ganze Grandezza dessen zum Vorschein kommt, was vorher da war. So etwas wollte ich auch erzielen: den Moment einer ewigen und elendigen Trennung, in dem man aber auch deutlich spürt, wie tief die Liebe gewesen ist. Ein Moment des Erscheinens, in dem auch schon das Erlöschen inbegriffen ist.

DIE FURCHE: "Phoenix" hat Parallelen zu Hitchcocks "Vertigo" und ist ein neuer Film noir ...

Petzold: Dieses Licht Hollywoods aus der Zeit von 1940 und 1944 ist ja voller Abgründe, ist das nicht fantastisch? Ein Hell-Dunkel für Menschen, die nicht mehr dazu gehören, auf der Flucht; sie hintergehen einander, erschießen sich sogar. Aber dahinter liegt eine Sehnsucht nach unschuldiger Liebe. Das wollte ich auch so machen.

DIE FURCHE: Es heißt, Sie hätten das Material des ersten Drehtags sofort weggeschmissen. Warum?

Petzold: Wir hatten am ersten Tag die Erschießung von Nelly gedreht, die sie aber überlebt. Das Licht war großartig, die Atmosphäre perfekt. Dann sah ich überall die KZ-Kleidung der Erschossenen und bemerkte: Verdammt, das ist genau das, was ich nie wollte. Ich wollte nie sagen: "Komparsen in Wehrmachtsuniform! Jetzt Genickschuss im Gegenlicht!"

DIE FURCHE: Erlegen Sie sich ein gewisses Bilderverbot auf?

Petzold: Das ist einfach da. Man kann bestimmte Dinge nicht nachempfinden, und sie zu zeigen würde nur Empörung auslösen -und das wäre obszön.

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