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Zu seinem 90. Geburtstag gibt Heinrich Harrer im Furche-Gespräch Auskunft über alle Phasen seines Lebens: die Durchquerung der Eiger-Nordwand, die Jahre in Tibet, die Expeditionen nach Neuguinea und Borneo sowie über das Alter, in dem man Stufe um Stufe zurückgehen muss.

Die Furche: Herr Harrer, wir sitzen hier in Ihrem Geburtsort Hüttenberg - wie darf man sich die Welt vorstellen, in derSie 1912 geboren wurden?

Heinrich Harrer: Hier wurde seit 2000 Jahren Eisenerz abgebaut, und mein Großvater war auch Bergmann. Aber wir hatten auch eine kleine Wirtschaft mit einer Kuh, Hühnern und Schweinen. Als ich sechs oder sieben Jahre alt war, musste ich mit der Tante schon hinauf auf die Martinsalm; da war man 12-14 Stunden unterwegs. Es war ein sehr kleines Heim; meine Großmutter hat meine Mutter in demselben Bett geboren, indem meine Mutter mich geboren hat.

Die Furche: Sport, Bergsteigen fremde Länder - war Ihnen das sozusagen in die Wiege gelegt?

Harrer: Die Begabung für den Sport hab ich schon mitbekommen. Als ich dann in Graz in die Schule gegangen bin, hat der Klassenvorstand einmal meiner Mutter gesagt: Lass den Buben doch Sport studieren. Das hat sie dann auch finanziert. Und als zweites Fach habe ich Geographie inskribiert, und da vor allem Gletscherkunde und Völkerkunde. Das hat mir sehr, sehr geholfen in meinem Leben.

Die Furche: Viele Menschen haben ein Bild von Ihrem Leben durch den Film. Fühlen Sie sich vom Film richtig dargestellt?

Harrer: Der Film ist ein Film Hollywoods. Brad Pitt ist hier gesessen und Jean Jacques Annaud war dreimal da, da habe ich Ihnen gesagt: Was Ihr mit mir macht in dem Film, kann ich sowieso nicht kontrollieren, aber ich habe zwei Bitten: dass Peter Aufschnaiter auch die Anerkennung in dem Film bekommt, und wenn der Dalai Lama ins Spiel kommt, müsst Ihr Euch mit ihm absprechen. Das haben sie eingehalten. Der Sinn des Films war ja, Anliegen der Tibeter bekannt zu machen.

Die Furche: Der Film vermittelt das Bild einer Läuterung durch das Tibet-Erlebnis, persönlich und politisch. Stimmt das?

Harrer: Natürlich. Ich war ja 14 Jahre in Asien, und da lernt man von den Asiaten sehr viel, im Speziellen von den Tibetern. Als ich nach Indien zur Nanga-Parbat-Expedition aufgebrochen bin, habe ich natürlich nie daran gedacht, nach Tibet zu gehen. Wir wollten nach vier Monaten wieder nach Hause.

Die Furche: Stimmt das Bild, das der Film von Ihrer jugendlichen Begeisterung für den Nationalsozialismus vermittelt?

Harrer: Es war so: Als ich fertig studiert hatte und in der Eiger Nordwand gewesen war, hat man mir eine Stelle in der Schule angeboten, wo ich selbst maturiert hatte, und da kam, kaum dass ich in der Schule war, ein Beamter und sagte: Alle Lehrer müssen in die NSDAP. Da habe ich natürlich meinen Antrag gestellt und bin in die NSDAP eingetreten, aber ich habe nie das Parteibuch erhalten, denn ich bin ja dann gleich weg nach Asien gefahren. Nach dem Krieg hat mir das dann einmal einer angeboten, aber das war ein Bluffer, der wollte nur Geld von mir haben.

Die Furche: Aber die Besteigung der Eiger Nordwand ist doch propagandistisch verwendet worden.

Harrer: Das war ein gefundenes Fressen: zwei Deutsche und zwei Österreicher. Wir wurden dann geradezu missbraucht. Aber warum man mich 60 oder 70 Jahre später zur Verantwortung zieht, da kann ich nur mitCato antworten: dass es schrecklich ist, dass man von einer Generation verurteilt wird, die nicht mit uns gelebt hat.

Die Furche: Wie ging es nach Tibet weiter?

Harrer: Es war bei mir eigentlich immer so, dass ein Erfolg die Plattform für mein nächstes Unternehmen war. Ich war natürlich auch sehr ehrgeizig und habe sehr schwere Expeditionen unternommen: Neuguinea und Borneo durchquert. Mein Leben war eigentlich ganz organisch aufgebaut, Stufe für Stufe - wie der Dalai Lama sagt: Man kann nicht ins 10. Stockwerk springen, man muss alle 1.000 Stufen gehen. Und wenn man ein Alter erreicht wie ich jetzt, muss man die Stufen auch wieder organisch Schritt für Schritt zurückgehen; wenn man oben auf der Stiege stolpert, dann geht's dahin.

Die Furche: Was bedeutet Ihnen die Freundschaft des Dalai Lama? Teilen Sie auch seine Religion?

Harrer: Der Dalai Lama war damals ja ein Bub. Er hat natürlich nur in seinem Buddhismus Unterricht gehabt. Er hat drei Äbte als Betreuer gehabt und den Regenten - alles konservative alte Herren, und die haben ihm natürlich nichts von der Welt erzählen können, denn sie hatten Tibet nie verlassen. Als wir diskutierten, hat er einmal gesagt: Warte, dich mach ich noch zum Buddhisten. Inzwischen hat er sich ja geändert, und wie wir wissen, ist er das Aushängeschild für die Ökumene. Und der Papst hat ihn in Assisi beim Weltreligionstreffen an seine rechte Seite gesetzt.

Die Furche:War für Sie immer klar, dass Sie wieder nach Hause kommen oder wollten Sie - wenn die chinesische Invasion nicht gewesen wäre - in Tibet bleiben?

Harrer: Ja, ich wäre dort geblieben; auch Peter Aufschnaiter. Wir waren dort Hans Dampf in allen Gassen. Wenn man etwas gebaut hat - einen Damm, eine Brücke, ein Haus - wir haben nie nein gesagt, sondern immer alles gemacht, was von uns gefordert wurde. Und daher waren wir dort nicht nur ein Rädchen unter Millionen wie hier in Europa, sondern etwas Besonderes, und wir sind dann ja auch akzeptiert worden, haben einen tibetischen Rangtitel bekommen. Das hat natürlich damit zu tun, dass wir nie geäußert haben, dass wir etwas besser wissen. Andere Besucher von Tibet - es gab ja nicht viele - haben immer geschrieben: Die Tibeter waschen sich nicht, sie schnetzeln ihre Leichen auf und füttern sie den Vögeln - lauter negative Sachen, aber sie haben nie geschildert, dass in Tibet eine 2.000 Jahre alte Kultur und Medizin existierte. Vom Aufscheiden der Leichen gab es Filme. Ich bin oft vorbeigegangen, wo man die Schädel zerschlagen hat - da waren Hunderte Geier und Adler; man hat das Fleisch in die Luft geworfen, und die Vögel haben es weggeschnappt - das nennt man eine himmlische Beerdigung. Ich habe nie Fotos von diesen Szenen gemacht.

Die Furche: Hätte das den Respekt vor der Kultur verletzt?

Harrer: Das hätte es. Und die Tibeter sind ja unheimlich abergläubisch. Und ich habe nie Zweifel geäußert, auch wenn ich selbst nicht daran geglaubt habe.

Die Furche: Eines Ihrer Bücher heißt "Das verlorene Lhasa" Was haben Sie gesehen, als Sie wieder in die Stadt gekommen sind?

Harrer: Das war schrecklich. Es wurden ja 99 Prozent aller Sakralbauten, Eremitagen, Schreine, Tempel dem Erdboden gleich gemacht, nur der Botala ist erhalten geblieben - er steht jetzt unter UNESCO-Denkmalschutz. Und ich sage immer: Wenn kein anderes Gebäude übrig bleibt, bleibt dieses immer der Beweis, dass die Tibeter ein großes Kulturvolk gewesen sind.

Die Furche: Was hat die Konfrontation mit der Steinzeit-Kultur in Borneo und Neuguinea für Sie bedeutet?

Harrer: Die Durchquerung von Neuguinea war sicher das Schwerste, was ich je gemacht habe. Das war eine Erfahrungssache auch. Wenn man so einem Stamm begegnet, und man ist Expeditionsführer, dann muss man Optimismus ausstrahlen, und ich glaube, ich war immer sehr optimistisch in meinem Leben, und dieser Optimismus muss sich auch übertragen auf die anderen und vor allem auf den Stamm, der noch nie einen Europäer gesehen hat. Denn die schnuppern das gleich, wenn du unsicher bist. Da gibt es von Angelus Silesius den Spruch: "In Gefahr und großer Not ist der Mittelweg der Tod." Man muss entschlossen sein, wenn man etwas tut.

Die Furche:Wenn Sie jetzt Ihr langes Leben überblicken - was wäre der wichtigste Ort? Die Eiger-Nordwand, Tibet oder Hüttenberg?

Harrer: Aus all meinen Altersperioden habe ich etwas Besonders in Erinnerung. Beim Bergsteigen war ich jung und ehrgeizig, und es war ein Sprungbrett für mich, um in die Welt hinauszukommen. Aber das Bergsteigen ist sicher nicht das größte Erlebnis gewesen. À la longue ist sicher der Dalai Lama und Tibet das Wichtigste gewesen für mich. Das Schönste war ja, das ich nicht der Lehrer war, wir sind Freunde. Er hat von mir gehört, wie man im Westen lebt, und 50 Jahre später bekommt er an meiner Universität den Menschenrechtspreis überreicht. Das ist ein wunderschöner Kreis, der sich da geschlossen hat.

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

Bergsteiger, Tibetfreund, Expeditionsleiter

Heinrich Harrer, geboren am 6. Juli 1912 in Hüttenberg in Kärnten, gehörte zur Seilschaft, die 1938 als erste die Eiger-Nordwand durchstieg. Auf der Nanga-Parbat-Expedition wurde er vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht und in Indien von den Engländern interniert. Nach mehreren gescheiterten Versuchen gelang ihm im April 1944 die Flucht nach Tibet, wo er zum Lehrer und Freund des Dalai Lama wurde. Sein erstmals 1952 erschienenes Buch "Sieben Jahre in Tibet" wurde vier Millionen Mal verkauft und in über 50 Sprachen übersetzt. Die Hollywood-Verfilmung mit Brad Pitt unter der Regie von Jean Jacques Annaud wurde ein Welterfolg.Seit den fünfziger Jahren führte Heinrich Harrer zahlreiche Forschungsexpeditionen durch, die ihn auf alle fünf Kontinente führten. Ihr Ergebnis sind über 20 Bücher und mehr als dreißig Fernsehfilme. Zu seinem 90. Geburtstag erschien im Ullstein Verlag die Autobiographie "Mein Leben".In seinem Heimatort Hüttenberg in Kärnten ist ein Museum eingerichtet, das Exponate aus allen Phasen und Bereichen seines Lebens zeigt. Informationen unter www.harrermuseum.at oder Tel. 04263/8108

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