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Ohne jede Gewalt zum Frieden

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Die Gestalt des Dalai Lama - diese Woche auf Besuch in Wien - ist für viele zu einem Hoffnungsträger des Friedens geworden. Es sind vor allem seine einfachen und überzeugenden Worte, die aufhorchen lassen - in einer Zeit, die durch Floskeln abgestumpft scheint. Weitweit bemüht sich das geistig-politische Oberhaupt der Tibeter unermüdlich, sein Sechs-Millionen-Volk auf einen gangbaren Weg in die Freiheit und Autonomie zu führen.

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Die Gestalt des Dalai Lama - diese Woche auf Besuch in Wien - ist für viele zu einem Hoffnungsträger des Friedens geworden. Es sind vor allem seine einfachen und überzeugenden Worte, die aufhorchen lassen - in einer Zeit, die durch Floskeln abgestumpft scheint. Weitweit bemüht sich das geistig-politische Oberhaupt der Tibeter unermüdlich, sein Sechs-Millionen-Volk auf einen gangbaren Weg in die Freiheit und Autonomie zu führen.

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In der Weltöffentlichkeit wächst so die Anteilnahme am „Drama auf dem Dach der Welt", überparteiliche Parlamentarier-Gruppen, Vereine für Tibet, so wie viele Einzelinitiativen haben es auch in der Schweiz erreicht: der Bundesrat hat dem starken Druck der öffentlichen Meinung nachgegeben - und zum ersten Mal den Dalai Lama empfangen. Schon seit dreißig Jahren leben 1.000 tibetische Flüchtlinge in der Schweiz, in der größten Kolonie außerhalb Asiens.

Bisher hatte man - wie andere Regierungen auch - diplomatisch jeden Konflikt mit der Führung in Peking vermieden. Es war der tsche-cho-slowakische Ministerpräsident Vaclav Havel, der als erster Regierungschef eine Wende eingeleitet hat: gleich nach seiner Amtsübernahme lud er das geistliche Oberhaupt der Tibeter offiziell ein. Ein besonderer Erfolg für das Jahr 1991 - von 38 Ländern als „Internationales Jahr für Tibet" ausgerufen - war ein Empfang im Weißen Haus im März. Und in dieser Woche traf sich der Dalai Lama mit dem französischen Außenminister Dumas. Peking sind solche Kontakte ein Dom im Auge - es reagiert stets empört mit Protesten.

Denn bisher stand Tibet eher am Rande des Weltinteresses. Dies war natürlich im Sinne Chinas, das sich -und dies nicht nur in Tibet - in Fragen der Menschenrechte am liebsten hermetisch gegen jeden Einblick von außen abschirmen würde. Peking behauptet, es gäbe nur ein Problem: den Dalai Lama als Verfälscher der Tatsachen.

Grausames Verdrängen

Jedoch bereits 1979 setzte der Dalai Lama seine Hoffnung auf eine „Lösung im gegenseitigen Einverständnis" mit den Chinesen - damals empfing ihn Deng Xiaoping persönlich. Doch es kam anders, die Hoffnungen zerschlugen sich rasch. 1987 erregte sein Fünf-Punkte-Plan zur Tibetfrage Aufsehen. Seine Rede 1988 vor dem Europaparlament in Straßburg hat ihm - wegen großer Zugeständnisse an die Volksrepublik China - im eigenen Land Kritik eingebracht. Sein Kompromißangebot schlug vor: Tibet sollte eine eigenständig regierende, demokratische Einheit bilden - China weiterhin für die Außenpolitik verantwortlich bleiben. Jedoch statt einer Antwort hat sich das offizielle Peking in vielsagendes Schweigen gehüllt. Nun hat der Dalai Lama sein Angebot wieder zurückgezogen. Seine ganze Hoffnung setzt das Oberhaupt der Tibeter jetzt auf die Hilfe der Weltöffentlichkeit - und auf die UNO. Nach der Vision des Friedensnobelpreisträgers soll in dem tibetischen Hochland eine Insel des Friedens - ohne irgendwelche Waffenstationierungen - und ein Naturschutzgebiet entstehen.

Aber die Zeit drängt, die Tibeter werden immer mehr zu einer Minderheit im eigenen Land. Die siebeneinhalb Millionen Chinesen verdrängen bereits die sechs Millionen Tibeter, drängen sie an den Rand der Gesellschaft. Dahinter steht ein gezieltes Umsiedlungsprogramm der Regierung. Ein grausames Gesetz schreckt nicht vor Zwangssterilisationen, ja sogar vor Zwangsabtreibungen bis zum neunten Monat, innerhalb der tibetischen Bevölkerung zurück.

Das Elend und Leid, in dem dieses Volk leben muß, ist erdrückend. Berichte verschiedenster Beobachter -der letzte stammt von einer australischen Menschenrechtskommission von Ende Juli - sprechen von entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen:

- während der letzten 40 Jahre sind eine Million Tibeter umgekommen

- Tausende schmachten unter schlimmsten Bedingungen seit Jahrzehnten in Lagern

- in den Gefängnissen werden grausame Foltern angewendet

-als neueste Foltermethode wird jetzt den Gefangenen gewaltsam soviel Blut abgenommen, bis sie völlig geschwächt sterben

- wegen der Mißwirtschaft gibt es zum ersten Mal in Tibets Geschichte Hungersnöte

- über 6.000 Klöster sind systematisch zerstört worden

- Hunderte von Mönchen und Nonnen sind aus ihren geistigen Zentren vertrieben worden

- Bodenschätze wurden ausgeplündert, die Tier- und Pflanzenwelt schwerbeschädigt und die Umwelt ist von Atommüll-Ablagerungen bedroht. Zudem werden im tibetischen Hochland chinesische Abwehrraketen stationiert.

Politiker brauchen Religion

Jedoch unerschütterlich wiederholt Tenzin Gyatso, der XIV. Dalai Lama: Der Weg Tibets in die Freiheit müsse ohne jede Gewaltanwendung erreicht werden. Für diese konsequente Haltung ist er 1989 mit dem Friedensnobelpreis augezeichnet worden.

Die Quelle solcher Gedanken ist für den Dalai Lama die echte Religiosität. Gerade weil Religionen immer Anlaß zu kriegerischen Auseinandersetzungen gaben, sei ein gegenseitiges Verständnis und eine intensive Zusammenarbeit von großer Bedeutung. Über den Einfluß, den Religion auf die gesamte Weltpolitik ausüben kann, meint der geistige Führer Tibets: „Die Politiker brauchen die Religion noch mehr als ein Einsiedler, der in Klausur ist. Wenn der Einsiedler aus einer falschen Motivation heraus handelt, schadet er niemandem außer sich selbst... Für mich gibt es keinen Widerspruch zwischen Politik und Religion. Denn was ist die Religion? Für mich ist jede Handlung religiös, die einer redlichen Einstellung entspricht. Als Buddhist sehe ich keinen Unterschied zwischen religiöser Praxis und täglichem Leben." Nach der Meinung des Dalai Lama sind alle Religionsstifter zuerst Vorbilder eines Lebens aus Barmherzigkeit gewesen. Liebe und Mitgefühl - als Grundbedürfnisse der Menschen -bilden daher das Wesen aller Religionen. Besonders heute sei das Ziel sowohl für das Christentum als auch den Buddhismus: Menschen zu einem besseren Menschsein, zur heilenden Hinwendung aller Lebewesen

- dem buddhistischen Mahakaruna -zu befähigen.

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