Erdochsen-Jahr beginnt mit Trauer

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Ein Jahr nach der brutalen Niederschlagung der Proteste in Tibet und 50 Jahre nach der Besetzung des Landes ist den Tibetern zu ihrem Neujahr nicht nach Feiern zumute. Doch Peking verordnet Freude.

Losar ist das tibetische Wort für Neujahr – der wichtigste Feiertag in Tibet und für alle Tibeter weltweit. Laut tibetischem Mondkalender ist der 25. Februar der erste Tag des Jahres 2136, ein Jahr des Erdochsen. Traditionell finden zu Losar Familientreffen statt, wird religiös und öffentlich gefeiert. Das Haus bekommt einen frischen Anstrich, die Familie wird neu eingekleidet, die Kinder freuen sich über Süßigkeiten; Streitigkeiten werden beigelegt, Schulden beglichen. Man beginnt sozusagen ein neues Leben.

Doch heuer ist für die Tibeter Losar kein Neuanfang, sondern traurige Rückschau auf die Vergangenheit. Wenn innerhalb eines Jahres ein Familienmitglied stirbt, wird in dieser Familie Losar nicht gefeiert. Die rund 200 Toten der Proteste vom März 2008 in Lhasa und anderen tibetischen Städten sind für das ganze tibetische Volk gestorben, erklärt Tseten Zöchbauer, die Präsidentin der Tibetischen Gemeinschaft in Österreich. Deswegen ist es für sie selbstverständlich, dass die Tibeter heuer auf die Feiern zu Losar verzichten und stattdessen dieser Toten gedenken.

In Österreich und anderen Exilländern, in denen Tibeter frei leben, ist das möglich. In Tibet nicht. Dort sind Feiern zu Losar heuer befohlen. Die chinesischen Behörden verteilen sogar Kleidung und Geld an die Tibeter, mit der Auflage, Losar zu feiern. Ein Mönch beschreibt seine Stimmung so: „Das Mutterland erwartet von mir Freude, aber in mir sitzt die Trauer.“

Trauer nicht nur wegen der tragischen Ereignisse vor einem Jahr. Trauer, gemischt mit Resignation vor allem auch wegen der chinesischen Besetzung Tibets. Am 10. März jährt sich die blutige Niederschlagung des tibetischen Volksaufstandes und die Flucht des Dalai Lama zum fünfzigsten Male. „Für uns Alten“, sagt Tseten Zöchbauer, „ist das ein Schock: Was, 50 Jahre, schon so lange! Das ist wie ein großer Stein, der uns lähmt.“ Und für die jungen Tibeter, glaubt die „Mutter Courage der Tibeter in Österreich“ (© Heinz Nußbaumer), stellt sich die Frage: Hat der Freiheitskampf überhaupt noch Sinn?“

Mönchsprotest gegen Losar-Feierlichkeiten

In Tibet selbst wird diese Frage mit einem von Protesten unterstützten Ja beantwortet. Vor Kurzem ist es in der Stadt Lithang zu einer 400 Menschen zählenden Demonstration gegen die Besatzer gekommen. 24 Tibeter wurden festgenommen, mehrere verletzt. Der Zorn der chinesischen Polizei richtete sich vor allem gegen den 37-jährigen Mönch Lobsang Lhundup, der den Protest anführte und lautstark die schnelle Rückkehr des Dalai Lama nach Tibet forderte sowie zur Verweigerung der Losar-Feierlichkeiten aufrief.

Auch in der Hauptstadt Lhasa seien allerorten Plakate zu sehen, auf denen zu Losarfeier-Abstinenz aufgerufen wird, berichten Tibet-Touristen. Auffallend sei auch die massive Präsenz von Militär und Polizei in tibetischen Städten, heißt es weiter. Obwohl nicht offiziell verhängt, befindet sich Tibet seit den Unruhen vor einem Jahr de facto unter Kriegsrecht. Der Kashag, der tibetische Ministerrat im Exil, hat aus Sorge um die Sicherheit der Tibeterinnen und Tibeter diese aufgefordert, weitere Protestaktionen zu unterlassen. Man rechnet damit, dass die chinesische Regierung jeden Widerstand gegen die Jahrestagsfeiern der Besatzung mit Gewalt brechen wird.

Im Jänner hat Peking angekündigt, den 28. März in Tibet als gesetzlichen Feiertag festzulegen und als „Tag der Befreiung vom Feudalismus“ zu feiern. Auch im Westen ist dieses Argumentationsmuster da und dort anzutreffen, wird der Dalai Lama als ehemaliger Feudalherrscher diskreditiert. Für Tseten Zöchbauer ein unfairer Vorwurf. Der Blick ins Nachbarkönigreich Bhutan zeige, sagt Zöchbauer, dass der friedliche Übergang von einer Monarchie in die Demokratie im Himalaya möglich ist. „Was hätten wir mit unserem Dalai Lama alles geschafft“, sagt sie, „aber uns wurde die Chance auf eine eigene Zukunft gestohlen.“ (wm)

Losar

Lo heißt auf Tibetisch Jahr und sar bedeutet neu. Zum tibetischen Neujahrsfest reisen viele am Land lebende Tibeter nach Lhasa. Der erste Losar-Tag wird in der Familie gefeiert; am zweiten Tag widmet man sich religiösen Bräuchen und am dritten Tag herrscht Feststimmung in der Öffentlichkeit.

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