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Unverständnis für Tibet

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Erstaunen und Beleidigung haben die dramatischen Ereignisse in Chinas „autonomer Provinz“ Tibet bei der chinesischen Zentralregierung ausgelöst. Die „Unruhen“ anläßlich des 37. Jahrestages des chinesischen Einmarsches in Tibet werden nicht verstanden.

Fernsehen und Zeitungen in China machen seit dem ersten Aufflackern von antichinesischen Unmutsbekundungen in Lhasa auf die „bisher ruhige Lage“ in Tibet, auf die „wirtschaftlich relativ zufriedenstellende Situation“ der Provinz und einen in den letzten Jahren „enorm verbesserten Lebensstandard“ der Tibeter aufmerksam. Wozu also der Aufstand?

Peking rätselt über die Ursachen des „so plötzlich an die Oberfläche gespülten Protestes“. Dabei erinnert man an die tiefe Religiosität des Volkes am Dach der Welt und scheint sich mit dem Hinweis beruhigen zu wollen, daß bei einem religiös gestimmten Volk emotionale Äußerungen durchaus verständlich seien. „Militante Leute“—so ein soeben aus China nach Österreich zurückgekehrter Beobachter und Sympathisant mit der Haltung Pekings— „benützten die Religion, um die Tibeter aufzuschaukeln, daher diese Wut auf China.“

Peking gibt sich auch betroffen über die zwiespältige Haltung der USA zum Tibet-Problem. Einerseits würdigt man sehr die prompte Bestätigung US-Außenministers George Shultz, Tibet sei chinesisches Gebiet, die Unruhen daher als interne Angelegenheit Chinas zu behandeln. Andererseits kritisiert man die Vereinigten Staaten, weil sie dem religiöspolitischen Führer der Tibeter, dem Dalai-Lama, erst vor kurzem einen „spektakulären Auftritt“ ermöglichten, der — so Pekings Ansicht—zu den Unruhen in Tibet beigetragen habe. Die Lösung der Tibet-Frage im Sinne des Dalai Lama—Tibet als wirklich autonome Friedenszone—steht für China nicht zur Debatte.

Das jetzige „autonome“ Gebiet

Tibet hat nach Meinung der Pekinger Zentralregierung große Verbesserungen erlebt. China selbst habe „große Opfer für Tibet“ gebracht. Diese Meinung wird seit langem chinesischen Schülern und Studenten durch Propagandafilme eingebleut. Es herrscht in China die Meinung vor, daß man Tibet aus der Sklaverei befreit habe. Wobei das für die unterste gesellschaftliche Schicht Tibets durchaus stimmen mag.

Zudem gibt es für die Region Tibet verschiedene Sonderrechte und Privilegien. Und chinesische Beobachter sind davon überzeugt, daß auch nach den Unruhen Peking von seiner „liberalen Politik“ gegenüber Tibet nicht abgehen werde. So gibt es beispielsweise für Tibet keine Zentralsteuern, ebenso obliegt die Zollhoheit der tibetischen Verwaltung.

Das Unverständnis Pekings für den Unabhängigkeitswillen der Tibeter hat also seinen Grund darin, daß man meint, ohnehin alles für die Region getan zu haben. Und schließlich — so argumentieren Pekinger Zeitungen - habe durch die „Kulturrevolution“, während der viele Tempel zerstört worden sind, auch China selbst stark gelitten. Daher sei der Aufstand gegen die „Viererbande“ wohl gerechtfertigt gewesen; die jetzigen Unruhen in Tibet aber „völlig grundlos“.

China erklärt das Aufbegehren in Tibet als „gesteuerte, gut vorbereitete Provokation“. Man hofft auf „Einsicht“ in Tibet und führt immer wieder den Pantschen Lama ins Treffen, der zweite Mann nach dem Dalai Lama, der zur „Beruhigung“ aufruft. Allerdings gilt er für viele Tibeter als Kollaborateur mit den Kommunisten.

Die Anstifter der Unruhen—das ist allgemeine Forderung in China — werden sich vor regionalen Gerichten in Tibet verantworten müssen. Man glaubt aber, daß es keine Todesurteile geben wird.

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