Dalai Lama - eine Nahaufnahme

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Die Furche-Herausgeber

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Eine Woche lang habe ich ihn durch Österreich begleitet. Durch Vortragshallen und TV-Studios, zu Pressekonferenzen und auf den Heldenplatz. Nicht nacherzählbar sind all die Eindrücke - von ihm als Persönlichkeit und von seiner öffentlichen Rezeption. 40.000 Menschen lauschten ihm, mehrheitlich jung, lachend, winkend, nachdenklich, auch weinend. Mehr noch als bisher scheint er zur Projektionsfläche für verschüttete Sehnsüchte nach Spiritualität und zu einer Vorbildfigur geworden zu sein.

Prophet einer globalen Ethik

Es war sein Besuch Nr. 12 in Österreich - und war doch auch ganz anders: Die Vertretung für das besetzte Tibet hat er im Vorjahr in jüngere, demokratisch legitimierte Hände gelegt. Das schafft Platz für neue Aufgaben: Der bald 77-jährige Tibeter tourt jetzt als Prophet einer globalen säkularen Ethik ("Werte, die nur auf Religion basieren, können nie universell sein!“) und als Mutmacher für mehr Geschwisterlichkeit der Weltreligionen.

Uns Menschen im Westen empfiehlt er mehr Warmherzigkeit, Mitgefühl und Genügsamkeit. Für Kritiker nichts umwerfend Neues. Und doch ist es die totale Glaubwürdigkeit der Person, die dieser Botschaft Flügel verleiht. Aus seinem Mund wird gerade das Einfache ein Gütezeichen des Wahren.

Viel Richtiges ist zuletzt über das "Phänomen Dalai Lama“ gesagt worden. Drei Ergänzungen dazu - aus eigener Wahrnehmung:

Da ist seine Freiheit von Angst, Stress, Besitz - und die Freiheit, an eigenen Dogmen zu rütteln. "Manches an Buddha hat sich überlebt“, sagt er - und rät auch unseren Kirchen, Ballast abzuwerfen. Angewandte Spiritualität müsse zuerst immer den Menschen dienen. Wie sehr würde ich auch anderen Religionsführern solche Freiheit wünschen!

Dann seine Freude an Begegnungen und neuen Erfahrungen. Wer ihm begegnet, kann mit einer Vorleistung an Sympathie rechnen. Und mit einer Fröhlichkeit, die Kulturen und Hierarchien überwindet - und Herzen verändert. Da ist einer, der endlos Raum zu haben scheint für jedes Du.

Und schließlich seine feindfreie Seele - trotz allem, was sein Leben geprägt hat. "Wer Tibet liebt, muss auch China lieben“, sagt er so nebenbei. Ein hartes Brot für seine Fans.

Kurzum: Nach einer Woche Dalai Lama ist die Rückkehr in die "Normalität“ gar nicht einfach. Und so wiegen zwei Enttäuschungen noch ein wenig schwerer als sonst:

Fischers schlechtes Argument

Ärgerlich, dass Heinz Fischer seinen Verzicht auf eine Begegnung auch mit der "Ein-China-Theorie“ rechtfertigt. So als wüsste er nicht, dass der Dalai Lama seit Jahrzehnten genau dieses predigt: echte Autonomie für Tibet, aber in einem gemeinsamen China. Die Mär vom "bösen Separatisten“ ist eine Propagandalüge Pekings, also ein schlechtes Argument.

Ärgerlich auch, dass unsere Medien - ORF inklusive - das "Nasenbussi“ zwischen Dalai Lama und Kardinal Schönborn für wichtiger hielten als den Pfingstsonntag-Besuch des Tibeters im Wiener Stephansdom. So als wüssten sie nicht, wie dringend gerade unsere Zeit solch bewegende Zeichen des Religionsfriedens braucht.

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