Dalai Lama diffamiert

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Die Vorwürfe des Ehepaars Röttgen vulgo Trimondi gegen den Dalai Lama und den Buddhismus, denen jüngst gar der "Standard" zwei ganze Seiten Raum gab, sind haltlos.

Fremde Kulturen werden gewöhnlich mit Argwohn und Abscheu oder mit Faszination und Begeisterung wahrgenommen. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die Wahrnehmung des tibetischen Buddhismus im Westen. Der erste Europäer, der Tibet betrat, war ein Jesuit, der im tibetischen Buddhismus große Ähnlichkeiten mit seiner eigenen religiösen Praxis fand. Das war zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die protestantischen Missionare dagegen, die im 18. Jahrhundert nach Tibet vordrangen, lehnten den dortigen Buddhismus ab, weil sie fanden, er sei eine Art Katholizismus.

Als sich die Gelehrten im 19. Jahrhundert für die Lehre des Buddha zu interessieren begannen, betrachteten sie den tibetischen Buddhismus als eine derbe Perversion des so genannten Ur-Buddhismus, den sie aus den Pali- und Sanskrit-Texten rekonstruieren wollten. Ihre esoterisch interessierten Zeitgenossen dagegen, etwa die Theosophen, waren vom "geheimnisvollen Tibet" fasziniert und idealisierten dieses damals fast unzugängliche Hochland zu einem Hort wahrer Spiritualität und geheimer Kräfte.

Vor allem letzterer Punkt erzeugte fantastische Erzählungen, die Tibet zum Mythos und zum Faszinosum machten. Diese gegensätzlichen (und unzutreffenden) Einschätzungen der tibetischen Tradition sind bis heute anzutreffen. Das Ehepaar Röttgen vulgo Trimondi ist ein gutes Beispiel dafür: Herbert Röttgen, renommierter linker Verleger (Trikont), und seine Frau Mariana begannen sich in den achtziger Jahren unter anderem für Buddhismus zu interessieren, suchten den damals noch längst nicht so populären 14. Dalai Lama auf - und waren enttäuscht.

Sextäter? Verkappter Nazi?

Daraus wurde offenbar eine erbitterte Gegnerschaft, die sich 1999 im Buch "Der Schatten des Dalai Lama, Sexualität, Magie und Politik im tibetischen Buddhismus" niederschlug. Victor und Victoria Trimondi, wie sich die Röttgens als Autoren nennen, wollten "die archetypischen Felder und die ,okkulten' Mächte" aufzeigen, die den Dalai Lama und seine Politik bestimmen.

"Victor und Victoria Trimondi" bedeutet wörtlich "Sieger und Siegerin dreier Welten", offensichtlich eine Anspielung auf das buddhistische Weltbild, das drei Ebenen von "Welt" unterscheidet, die Welt von Materie und Form, die Welt der Form und die formlose Welt. Der Autorenname scheint also nicht mehr und nicht weniger als den Sieg des Ehepaars Röttgen über den Buddhismus anzudeuten.

Das Buch von 1999, dessen Thesen jetzt im eben erschienenen neuen Opus "Hitler, Buddha, Krishna, Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute" wieder aufgenommen werden, fand allerdings bei Fachleuten, also Indologen und Tibetologen nur am Rande und nur negative Resonanz; dafür aber interessierten sich damals die Medien kurze Zeit für die wilden Anschuldigungen gegen den Dalai Lama und den tibetischen und den tantrischen Buddhismus. Immerhin fahren die Trimondis schwere Geschütze auf.

Unter anderem behaupten sie, der Dalai Lama strebe mit Hilfe des tantrischen Kalachakra-Rituals nach der Weltherrschaft; im tantrischen Buddhismus seien Menschenopfer und Kindesmissbrauch übliche Praktiken und die tantrischen Texte würden insgesamt zu amoralischem Verhalten aufrufen. Dabei stützen sie sich auf tantrische Texte, wie sie sagen, in denen das alles stehen soll.

Tatsächlich kann man solche Passagen in tantrischen Texten finden; doch diese Texte sind genauso wenig wörtlich zu nehmen wie die Aufforderung des Priesters bei einer Eucharistiefeier, wenn es heißt: "Nehmt und esst, das ist mein Leib." Weder sind Katholiken Menschenfresser noch sind Buddhisten Mörder, Kinderschänder und ähnliches. Dass die Trimondis offensichtlich nicht bedenken, dass es symbolische Aussagen gibt, die nicht wörtlich zu verstehen sind, sondern ihre Bedeutung aus dem kulturellen Kontext erhalten, ist nicht verwunderlich. Denn wer - wie die Trimondis - "archetypischen Feldern" und "okkulten Kräften" eine Art physikalische Realität zuschreibt, erliegt demselben Denkfehler wie Fundamentalisten, die auch zwischen wörtlicher und symbolischer Bedeutung von Ausdrücken nicht unterscheiden.

Als Beleg für die kriegerischen Absichten des Dalai Lama wird das Kalachakra angeführt, ein tantrischer Text, der eng mit dem Mythos von dem sagenhaften Königreich Shambala verknüpft ist, in dem das Kalachakra entstanden sein soll. Shambala, so wird erzählt, sei heute ein verborgenes Königreich im Himalaja, dessen König in einigen Jahrhunderten die Gerechten und Guten zu einem Endkampf gegen die Bösen anführen würde.

Buddhas Weltherrschaft?

Die historischen Hintergründe - Invasion von Turkvölkern in Indien im 10. Jahrhundert, gnostische, apokalyptische und neuplatonische islamische Splittergruppen in Nordindien, et cetera - werden nicht erwähnt. Dafür basteln die beiden Trimondis aus dem Kalachakra-Ritual und dem Shambala-Mythos die These, der Dalai Lama strebe danach, als "Buddhokrat" die Welt zu beherrschen.

All diese Versatzstücke werden in dem neuen Buch - dem die Tageszeitung Der Standard gar zweimal eine ganze Seite widmete - wieder aufgenommen, aber in einem anderen Rahmen. Das Problem, das die beiden Trimondis in "Hitler, Buddha, Krishna" ansprechen, ist relevant: nämlich das Interesse speziell von rechtslastigen und nationalsozialistischen Kreise an Buddhismus und Hinduismus. Doch leider: zwar erfährt man eine Menge über das Asienbild von Heinrich Himmler, über diverse SS-Projekte, über faschistische Schriftsteller wie Julius Evola, und so weiter - aber so gut wie nichts über zentrale Themen wie Nationalsozialismus als politische Religion, die Konservative Revolution als Nährboden des Nationalsozialismus, die merkwürdige Gleichzeitigkeit von naturwissenschaftlich-technischem Fortschritt und Okkultismus-Gläubigkeit et cetera.

Mit anderen Worten: Thema verfehlt. Aber vielleicht geht es ja gar nicht um Argumente, sondern um Ressentiments.

Die Autorin ist Religionsjournalistin beim ORF-Hörfunk und Lehrbeauftragte an der Universität Wien mit Schwerpunkt Buddhismus.

HITLER, BUDDHA, KRISHNA. Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute. Von Victor und Victoria Trimondi. Verlag Ueberreuter, Wien 2002. 670 Seiten, geb., e 29,90

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