Debatte • Streit zwischen Christen und Buddhisten ist selten, aber auch das Gespräch findet sich kaum: Eine Buddhistin und eine Christin reden darüber.ches.
Beide sind Achtsamkeitslehrerinnen. Aber die Theologin, Philosophin und Religionsjournalistin Ursula Baatz und die Tibetologin und Buddhistin Tina Draszczyk vertreten unterschiedliche Positionen. Ein Dialog zwischen Christin und Buddhistin.
Die Furche: Warum lässt man sich als Christin auf den Buddhismus ein?
Ursula Baatz: Es gibt keinen Grund, warum man sich als Christin nicht auf eine andere Tradition einlassen soll, es sei denn, man hat ein sehr enges Verständnis vom Christentum. Dass ich mich konkret darauf eingelassen habe, ist biografisch begründet.
Die Furche: Was interessiert eine Buddhistin am Christentum?
Tina Draszczyk: Ich bin im Christentum aufgewachsen und hatte dann meine Gründe, mich etwas anderem zuzuwenden. Abgesehen vom ethischen Rahmen, der das allerwichtigste Fundament ist, bleibt der Gottesbegriff auch von außen her von Interesse? Was ist für einen Christen der Gottesbegriff. Das ist für mich das große Rätsel.
Die Furche: Warum?
Draszczyk: Es ist die Frage, wie so viele Menschen sich einem abstrakten Begriff verbunden fühlen können. Für mich persönlich kann ich das nicht als Anregung aufgreifen. Aber es interessiert mich, was Menschen denken, die an einen Gott glauben.
Baatz: Die Trennlinie zwischen Buddhismus und Christentum verläuft nicht beim Gottesbegriff. "Gott“ ist in keiner Weise ein Abstraktum, der Begriff ist vielschichtig. Gottesbilder im Christentum wie in der Bibel sind zahllos, nur hat das Christentum im Gegensatz zur jüdischen Tradition weitgehend vergessen, dass es nur Bilder sind - "Gott“ bleibt unaussprechbar, ein Geheimnis …
Draszczyk: … aber trotzdem etwas, worauf man sich bezieht. Also doch eine gewisse äußere "Wesenheit“, auf die man in irgendeiner Weise Bezug nimmt. Das ist doch ein zentraler Unterschied, bei dem es darum geht, das innere Potenzial zu verwirklichen.
Baatz: Ich bin mir nicht so sicher, dass sich Buddhisten nicht in ähnlicher Weise auf den Buddha als transzendentes Wesen beziehen - etwa im Reinen-Land-Buddhismus der "Buddha des Lichts“.
Draszczyk: Was den populären Buddhismus betrifft, stimmt das sicher. Populärer Buddhismus unterscheidet sich vermutlich vom Christentum recht wenig. Aber vom Ansatz der philosophischen Lehrtradition sehe ich schon einen großen Unterschied.
Die Furche: Es gibt Schlagwörter, die dem Christentum zugesprochen werden - etwa: Erlösung - und solche, die dem Buddhismus anhängen - etwa Selbsterlösung.
Draszczyk: Was ist denn Selbsterlösung? Es gibt eine ganze Reihe gängiger Begriffe, die sich in der Übersetzungsliteratur eingeschliffen haben, das ist bedauernswert, da es heute dafür viel bessere Ausdrucksweisen gibt. Eine der zentralen Lehren des Buddha ist die Selbst-losigkeit, besser: Wesenlosigkeit, das heißt: Wo kein Selbst ist, kann schwerlich ein Selbst erlöst werden. Hier sind sich alle Strömungen des Buddhismus einig: Es gibt in der Person keine wahre, gleichbleibende Identität. Es gibt kein Selbst. Deswegen kann dieses auch nicht erlöst werden. Zentral ist der Weg, den jeder aus eigenen Stücken gehen muss. Und weil Täuschung sich im eigenen Bewusstsein abspielt, kann das niemand für einen selbst auflösen, das muss man selbst durchschauen.
Baatz: Was heißt Erlösung im Christentum, und wer ist der Agent davon? Wenn Jesus sagt: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ - geht es da um einen Führer, dem man nachhumpelt, oder versteht man das als einen Prozess? Ich würde sagen, das ist ein Prozess. Man wird gleichförmig mit Christus, man ist Teil von diesem Prozess. Das kann man auch nur selbst, man kann schlecht jemanden dazu delegieren. Bei Paulus steht im Römerbrief: Wer getauft ist, hat Anteil an Tod und Auferstehung. Und zwar nicht irgendwann, sondern hier und jetzt. Interessanterweise wurde das theologisch nie zu Ende gedacht. Ich vermute, ein Grund dafür ist, dass die griechische Philosophie mit ihrer Logik das nicht erlaubt. Da hat die buddhistische Philosophie mit den paradoxen Denkformen viel mehr Spielräume.
Die Furche: Ein zweites Reizwort ist Reinkarnation. Auch viele Christen glauben daran. Ein Berührungspunkt zum Buddhismus?
Draszczyk: Das hängt ganz davon ab, was man unter Reinkarnation versteht! In den meisten buddhistischen Traditionen wird Reinkarnation als etwas verstanden, das stark vom jetzigen Leben abhängt, insbesondere die letzten Eindrücke vor dem Tod sind wesentlich. Reinkarnation ist auch nicht spektakulär, so wie wenn man einschläft und wieder aufwacht; etwas drastischer insofern, als man da einen neuen Körper und eine neue Welt um sich hat. Es ist eine Fortsetzung der karmischen Eindrücke und dessen, was einem dadurch an Welt vorgegaukelt wird und an illusorischem Bewusstsein. Wenn es sich um eine derartige Vorstellung handelt, ist es natürlich ein Berührungspunkt.
Baatz: Eine der Faszinationen der Reinkarnation rührt daher, dass im Christentum über Auferstehung wenig nachgedacht wurde: Hätten sich die Theologen so viel Gedanken über Auferstehung gemacht wie über Sünde, würde die Sache anders aussehen. Auferstehung ist paradox, ein radikaler Bruch und keine Fortsetzung.
Draszczyk: Reinkarnation ist nur die Fortsetzung dessen, was man durch Handlungen und Geistestrübungen akkumuliert hat und der Geist sozusagen wieder projiziert. Ich nehme das wahr, was ich an Handlungen und Eindrücken aufgebaut habe. Sie ist nichts weiter.
Die Furche: Wo unterscheiden sich Christentum und Buddhismus am meisten?
Baatz: Ein Unterschied ist, zeitgenössisch ausgedrückt, die vorrangige Option für die Armen. Diese zeichnet das Christentum von Anfang an aus. Das Christentum kommt ja aus einer Unterdrückungssituation, während der Buddhismus eine staatlich anerkannte und geförderte Religion war. Das erzeugt völlig andere Dynamiken und Zugänge. Für mich liegen da Weichenstellungen. Bei allem Spaß an philosophischer Debatte: Wenn es darum geht, wofür setze ich mein Leben ein, dann geht es um ethische Transzendenz, ums "Antlitz des Anderen“.
Draszczyk: Es stimmt, dass der Buddhismus das in dieser Form nicht hat. Das Ausmaß umfassender sozialer Aktivitäten aus der Religion heraus vermisse ich hier. Aber in letzter Zeit lernen die buddhistischen Organisationen da viel von den Christen.
Die Furche: Im Ranking der "modernen“ Religionen steht der Buddhismus fast immer ganz oben. Wenn gefragt wird, wer der tollste spirituelle Führer ist, dann kommt an erster Stelle der Dalai Lama. Was macht die Anziehungskraft des Buddhismus aus?
Draszczyk: Das liegt nicht daran, dass die Menschen den Buddhismus gut kennen, sondern es liegt an dessen Image. Ein Kernpunkt ist sicher, dass im Buddhismus Selbstverantwortlichkeit eine wesentliche Rolle spielt - und diese wird in unserer Zeit hochgehalten. Darüber hinaus ist es eine Image-Frage. Der Dalai Lama hat eine gute PR, und er ist äußerst charismatisch …
Baatz: … und er deckt dieses Image als Person auch ab! Entscheidend ist auch die Buddhismus-Rezeption. Der Buddhismus, wie man ihn heute versteht, fußt auf einem Rückkopplungsprozess: Europäische Intellektuelle, die das Staatskirchentum abgelehnt haben, entdeckten im 19. Jahrhundert den Buddhismus. Da war noch unklar, als was man ihn überhaupt verstehen soll; dann hat sich die Idee durchgesetzt, es sei ein aufgeklärter Humanismus. Man hat also etwas Nettes gefunden, was passt. Das haben dann in Japan oder in Sri Lanka die autochthonen Buddhisten im antikolonialen Kampf übernommen und als Selbstdarstellung gebracht …
Draszczyk: … auch die Achtsamkeitswelle, die wir heute haben, beruht auf dieser Geschichte. Es gibt einen weiteren Grund, warum der Buddhismus so beliebt ist: Er hat einen großen "Methodenkoffer“ an meditativen Techniken, die es meiner Kenntnis nach im Christentum in dieser Form nicht gibt und die teilweise dort übernommen wird.
Die Furche: Das hat das Christentum nicht?
Baatz: Im Buddhismus wurde der Methodenkoffer erst dadurch entdeckt, dass man den Erfahrungsbegriff als wichtig hinstellt. Im Japanischen etwa gibt es für "Erfahrung“ erst Ausdrücke aus dem späten 19. Jahrhundert. Auch im Christentum gab es sehr reiche und starke Meditationstraditionen, die man erst heute wieder entdeckt. Martin Luther beispielsweise meditierte, und der Impuls des Protestantismus wurzelt in seiner Meditationserfahrung.
Draszczyk: Es mag schon sein, dass dies im Zen-Buddhismus aus der Modernisierung heraus entstanden ist. Aber der indische und tibetische Buddhismus hat von Anfang an wesentliche Auseinandersetzungen über Erfahrung, auch was Techniken betrifft. Es gab historische Debatten, welche Form von Meditation für Erfahrung und Erkenntnis geeigneter ist - das war Standardthema in Tibet von Anfang an. Meditation ist das wesentliche Erbe des tibetischen Buddhismus.
Die Furche: Aber wenn es stimmt, dass der westliche Buddhismus-Boom auch auf einer Kritik der Rolle der Kirchen im Staat fußt: Waren nicht gerade im tibetischen Buddhismus bis zur Vertreibung des Dalai Lama 1959 Staatswesen und Religion eins?
Draszczyk: Den meisten, die sich hierzulande dem tibetischen Buddhismus zuwenden, ist das nicht bewusst. Da gibt es sehr wenig Kenntnis über die historische Entwicklung der tibetischen Kultur - und es wird von Seiten der Tibeter und der tibetischen Exilregierung kaum etwas unternommen, um hier Aufklärung zu betreiben. Die Hintergründe der tibetischen Geschichte sind nicht immer positiv. Und die Menschen, die dem tibetischen Buddhismus aus romantischem Wunschdenken heraus nahekommen, machen sich nicht die Mühe, sich diese Kenntnis zu verschaffen. In jedem Fall zeichnet sich der tibetische Buddhismus dahingehend aus, dass er eine sehr differenzierte Fülle spiritueller Methoden hat überliefern können.
Die Diskutantinnen
Tina Draszczyk
Die promovierte Tibetologin praktiziert seit 1978 tibetisch-buddhistische Meditation. Sie ist Achtsamkeitslehrerin sowie Lehrerin für buddhistische Philosophie und Meditation. Sie ist Vertreterin der tibetischen Karma Kangyü-Tradition.
Ursula Baatz
Die Theologin und Philosophin war Ö1-Religionsjournalistin. Sie schrieb Bücher zum Buddhismus und zur Zen-Tradition. Über ihren Lehrer Hugo Enomiya-Lassalle SJ verfasste sie eine Biografie. Auch Ursula Baatz ist Achtsamkeitslehrerin.