Die Speisung der Zweitausend

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Jeden Abend im Ramadan bietet ein privater Verein in Traiskirchen ein großes Fastenbrechen für die Flüchtlinge, die im Erstaufnahmezentrum leben. Heuer folgen rund 1800 Menschen der Einladung.

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Jeden Abend im Ramadan bietet ein privater Verein in Traiskirchen ein großes Fastenbrechen für die Flüchtlinge, die im Erstaufnahmezentrum leben. Heuer folgen rund 1800 Menschen der Einladung.

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Wer zwischen 18. Juni und 16. Juli abends die Pfaffstättner Straße in Traiskirchen entlang fährt, dem bietet sich ein besonderer Anblick: Junge Männer in Warnwesten laufen neben einer Schlange bestehend aus fast 2000 Menschen auf und ab. Sie stehen mehrere hundert Meter vor einem großen orangefarbenen Haus an, in dem sich ein türkisches Lebensmittelgeschäft befindet. Das Ziel dieser Menschen ist aber nicht der Laden und auch nicht die Moschee im Obergeschoß des Gebäudes. Nein, sie alle wollen in das Zelt im Hof dahinter gelangen. Von dort dringt der verführerische Duft türkischer Speisen auf die Straße. Dann ist es 21 Uhr - Sonnenuntergang -und die Ordner lassen die Menge hinein. In mehreren Schichten werden 1800 Menschen verköstigt.

"Das Essen schmeckt wie zuhause", lobt Zadev Kahn Malikzai aus Afghanistan. Vor dem Sechzehnjährigen und seinen Freunden aus dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen stehen Metalltabletts. Es gibt Suppe, Reis mit Fleischstücken und Rindfleisch mit Erbsenschoten zu essen. Dazu bekommen sie ein Stück Fladenbrot und eine Dose Limonade. Siekommen jeden Abend nach dem Gebet her, um ihr Fasten zu brechen. "Im Lager ist es zu voll, deswegen tut es gut, hier zu essen", sagt Malikzai. Der unbegleitete minderjährige Flüchtling ist seit über zwei Monaten in Österreich und froh darüber: "Wir werden hier menschlich behandelt und respektiert." Für immer möchte er aber nicht hier bleiben, sondern nur "zum Lernen". Wenn es in Afghanistan friedlicher ist, will er wieder zurück zu seiner Familie.

Während des muslimischen Fastenmonats Ramadan bietet der türkisch-islamische Kulturverein Traiskirchen allabendlich eine gemeinsame warme Mahlzeit für 1700 bis 1800 Flüchtlinge an. "Als wir vor sechzehn Jahren anfingen, kamen etwa 150 bis 200 Leute pro Abend", berichtet Obmann Erdal Kaymaz. Inzwischen kommen etwa die Hälfte der Flüchtlinge, die derzeit im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen leben. Der Andrang stellt den privaten Verein vor eine große Herausforderung: 1700 Getränke, 300 Fladenbrote, 70 Kilo Reis und 65 Kilo Fleisch müssen finanziert, besorgt und in nur einer Stunde verteilt werden.

Eine Stunde Stress für ein Lächeln

Denn das Fastenbrechen darf aufgrund religiöser Vorschriften erst bei Sonnenuntergang beginnen. Die Flüchtlinge müssen aber schon um 22 Uhr wieder im Lager sein, so ist es gesetzlich vorgeschrieben. 40 Helfer - zum Teil selbst Flüchtlinge -arbeiten Hand in Hand, um sicher zu gehen, dass alle satt werden und rechtzeitig zurück im Lager sind. Die Tellerwäscher werfen die Essenstabletts nur so durch die Luft, so flott und routiniert wird gearbeitet. Andere kümmern sich um die Essensausgabe und ein Koch mit zwei Helfern steht jeden Tag ab zwölf Uhr in der Küche. Obmann Kaymaz berichtet, die Helfer seien süchtig nach diesem Erlebnis: "Mir wurde sogar schon von Leuten gesagt, dass sie gar nicht mehr zuhause mit der Familie essen wollen, weil sie gesehen haben, wie es hier läuft und was für ein Bedarf an Helfern besteht."

Mehr als ein Lächeln können sich die Helfer nicht zum Lohn erwarten, aber das macht ihnen nichts aus: "Die Bittgebete der Leute zählen", erklärt Kaymaz. Außerdem sei der Ramadan nicht nur ein Monat der Selbstbeherrschung, sondern auch der Fürsorge. Deshalb spenden viele Muslime für das Traiskirchener Fastenbrechen, wie etwa die türkischstämmige Arzu Kempkes-Toros. Sie kam extra aus Wien, nachdem sie im Radio von der Aktion gehört hatte. Durch Rundfunk, Zeitungen und Soziale Medien fand der Verein viele Unterstützer.

Nicht nur Muslime unterstützen das Projekt, auch Christen spenden und packen mit an. Einer der Aktivsten ist der Traiskirchener SP-Gemeinderat Norbert Ciperle: "Der Bürgermeister hat in beeindruckender Weise davon erzählt, was hier passiert. Ich wollte es selbst sehen und eine Sachspende bringen." Seither arbeitet er hier mit. Aber nicht nur Ciperle hat die Aktion angezogen: Jeden Tag arbeiten drei bis vier Nicht-Muslime aus allen Gesellschaftsschichten mit.

Menschlichkeit und Wärme im Zentrum

"Es geht nicht nur ums Essen, sondern wir versuchen Menschlichkeit und Wärme zu bieten, und die Leute mit offenen Armen zu empfangen", sagt Obmann Kaymaz. Deswegen werden nur Speisen angeboten, die den Gästen schmecken. Salat, besonders mit Dressing, sei sehr unbeliebt, Gemüse im Ganzen dagegen essen die Flüchtlinge gerne, erklärt Kaymaz. Die gesetzliche Sperrstunde für die Flüchtlinge stellt auch kein großes Problem dar: Eine Stunde geben die Mitarbeiter Vollgas, dann ist jeder satt. Um zehn nach zehn ist alles weggeräumt. Gemeinsam geht es zum Nachtgebet, bevor jeder nach Hause geht. Denn Schlaf ist Mangelware im Ramadan: "Wir müssen um drei Uhr aufstehen, um zu essen und zu beten. Dann gehen wir um vier wieder schlafen, und um sieben läutet schon der Wecker", schildert Kaymaz seine Ramadan-Nächte. Dann rufen Schule und Arbeit.

Doch Schlafentzug und Essen stehen nicht im Zentrum des Ramadans, sondern Selbstbeherrschung und Nächstenliebe. In Traiskirchen wurde das alles in einen Topf geworfen. Heraus kam ein tägliches Abendessen für viele gläubige Muslime.

Geld-und Sachspenden: Türkisch-islamischer Kulturverein Traiskirchen Pfaffstättner Straße 35,2514 Traiskirchen IBAN: AT 51 2020 5003 0013 0259

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