Zwei Kulturen, bunt wie ein Regenbogen

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Österreich und die Türkei verbindet mehr, als ihnen bewusst und so manchem auch lieb ist. Das beginnt beim reichen Bevölkerungsgemisch – und endet bei den Mehlspeisen.

Sie sind stolz auf ihre Kaffeekultur. Sie sind gesellig und gemütlich. Sie lieben Süßspeisen und rühmen sich mit ihren originellen Erfindungen. In einem der Länder heißen die Süßspeisen Sacher, Topfenkolatschen oder Nussbeugerl im anderen Zuckerstück ( ekerpare), Frauennabel (Han1mgöbei) oder einfach Baklava. Das Kipferl ist sowieso etwas, was beiden gehört. Sie lieben beide Fußball und sind heuer nicht bei der WM in Südafrika. Die Rede ist von der Türkei und von Österreich. Ihre Küche ist so bunt wie ein Regenbogen.

Österreich und Türkei haben mehr Gemeinsamkeiten, als ihnen bewusst und lieb ist. Beide Länder sind und waren immer schon ein bunter Haufen an Völkern und trotzdem, so scheint es, kommen sie nicht so zurecht damit. Mit der Vielfalt, die sie beheimaten. Die Slowenen haben ihre zweisprachigen Tafeln noch immer nicht. Die Kurden in der Türkei haben erst seit Kurzem die Freiheit, in der Öffentlichkeit Kurdisch zu sprechen. Von zweisprachigen Tafeln in der Türkei kann erst gar nicht gesprochen werden.

Aber es sind nicht nur die Slowenen und die Kurden, die für die jeweiligen Länder für Vielfalt sorgen. Während es in Österreich vorwiegend Mähren, Slowaken, Ungarn, Rumänen, Italiener, Tschechen, Juden, Bulgaren waren, sind es in der Türkei neben den Kurden, Armenier, Araber, Tscherkessen, Lazen, Georgier, Albaner gewesen, die die Vielfalt garantiert haben.

Verschiedene Volksgruppen, die die Lebensart und Weise, also die Kultur, gegenseitig beeinflusst haben und weiterhin beeinflussen werden. Heute haben beide Länder Zuzug aus noch entfernteren Gebieten.

Österreich hat mittlerweile eine große türkische, deutsche, arabische, bosnische, kroatische, chinesische, indische, serbische Bevölkerung, und auch aus verschiedenen Ländern Afrikas um nur einige zu nennen. In der Türkei sind es wiederum Menschen aus Afrika, Deutschland (vor allem in Antalya), Polen, Russen, und Georgier, die für eine neue Buntheit sorgen.

Während der Zuzug aus den genannten Ländern in die Türkei erst ganz frisch ist, ist die Zuzugswelle nach Österreich vor etwa 50 Jahren losgegangen.

Und mit ihnen kamen neue Lebensweisen und Lebensmittel. War es vor 30-40 Jahren schwer möglich Auberginen, Schafkäse, Baklava, Falafel oder auch eine Pitahaya zu finden, bekommt der/die Österreicher/-in genannte Speisen an fast jeder Ecke. Willkommene Vielfalt für den Gaumen. Unauffällig leise und nicht wahrnehmbar, weil sehr langsam und nicht von heute auf morgen, ist die Kultur im ständigen Wandel. Nicht nur durch Zuwanderung, sondern viel mehr durch die uns allen bekannte Globalisierung, die neuen Kommunikationsmittel Internet, Fernsehen und andere Medien wandelt sich die Kultur unauffällig. Daher behaupte ich, gibt es „DIE“ türkische oder österreichische Kultur nicht. Obwohl natürlich für beide Kulturen eine Kernkultur existiert mit ihren Tänzen, Gesängen und eben der Lebensweise.

Familie – Aile

Wenn wir trotzdem eine grobe Verallgemeinerung machen wollen, können wir sagen, dass die türkische Kultur eher kollektiv ist, wohingegen in Österreich die Individualitätskultur herrscht.

Die Kollektivität ist am besten in der Großfamilie sichtbar. Auch wenn es in Großstädten in der Türkei mittlerweile andere Lebensformen gibt, grundsätzlich gilt: Die Familie ist für die in der Türkei lebenden Menschen enorm wichtig. Die Großfamilie mit all den Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen spielt eine große Rolle im Leben der Menschen. Es kommt nicht von ungefähr, dass auch für jeden Verwandtschaftsgrad eine eigene Bezeichnung gibt. So wird der Onkel väterlicherseits (Amca) anders bezeichnet als der Onkel mütterlicherseits (Day1). Genauso ist es von den Großeltern bis zur Cousinen.

All diese Verwandten haben auch ein Mitspracherecht bei Entscheidungen. Von der Namensgebung bis zum Studium, bei wichtigen Entscheidungen werden alle Mitglieder mit einbezogen. Es ist durchaus möglich, dass ein Kind einen Namen von der Tante, Großmutter oder dem Onkel bekommt womit die Eltern des Kindes leben müssen, da der Onkel oder die Tante beleidigt wären, würden die Eltern den Namen nicht akzeptieren. Sie würden sich nicht respektiert fühlen. Denn Respekt älteren Menschen gegenüber lernt jedes Kind mit dem Laufen und dem Sprechen. Kinder gilt es zu lieben und Erwachsene zu respektieren, heißt eine türkische Schulweisheit: „Büyükelini saymak, küçüklerini sevmek.“ So ist es auch nicht denkbar, dass alte Menschen in ein Altersheim abgegeben werden, wenn sie nicht mehr alleine leben können. Kein alter Mensch in der Türkei möchte seinen Lebensabend in einem Altersheim verbringen. So ziehen alte Menschen, falls sie alleine gelebt haben, zu ihren Kindern, wenn sie ihren Alltag nicht mehr meistern können. Keine Frage, auch in der Türkei gibt es Altersheime. Für Menschen, die entweder keine Kinder haben/hatten oder deren Kinder sie nicht wollen. Auch das kommt vor.

Essen - Yemek

Was sowohl der/die Österreicher/-in als auch der/die Türke/-in beim Essen gemeinsam haben, ist die Gemütlichkeit. Doch das Essenverhalten ist anders. Während die Hauptmahlzeit der Österreicher/-innen das Mittagessen ist, ist es für die in der Türkei lebenden Menschen das Frühstück und das Abendessen.

Auf das Mittagessen wird in der Türkei nicht so viel Wert gelegt. Die, die arbeiten gehen, nehmen eine Kleinigkeit, meistens ein Toast oder Simit (Sesamkringel, die heute auch in Österreich sehr leicht zu bekommen sind) zu sich. Die, die zu Hause sind, meistens die Frauen, warten mit dem Essen auf den Mann und die Kinder. Dann wird aufgetischt. Suppen, Salate, Gefülltes, Geschnetzeltes, Gegartes, Gegrilltes. Alles kommt auf den Tisch und jeder nimmt sich, was er gerade begehrt. Nach dem Essen wird dann Obst serviert. Eine Eigenart, die in Österreich nicht denkbar ist. Und dann kommt der obligatorische çay, der türkische schwarze Tee, oder der türkische Kaffee. Auch das Abendessen kann stundenlang dauern. Neben dem Essen wird auch viel geredet, was in Österreich eher nicht gern gesehen wird. Im Gegensatz zur Türkei wird in Österreich viel auf das gemeinsame Mittagessen gegeben. Nicht umsonst kündigt sich hier die nahende Mittagszeit ab zehn Uhr Vormittags mit dem Gruß „Mahlzeit“ an.

Vor allem auf dem Land wird dann Punkt Mittag, wenn die Kirchenglocke 12.00 Uhr schlägt, aufgetischt. Auch wenn es unter der Woche nicht immer machbar ist, am Wochenende ist das gemeinsame Mittagessen mit der Familie für den/die Österreicher/-in heilig. Was für den /die Österreicher/-in das Mittagessen, ist für den/die Türke/-in am Wochenende das Frühstück mit Böreks (mit Käse, Topfen, Spinat oder Kartoffeln gefüllter Blätterteig), Käsesorten, Tomaten, Gurken, Oliven, das bis in die Mittagsstunden hineingeht.

Eins aber haben beide Völker gemeinsam. Sie lieben Döner. Es ist sogar so, dass es in Österreich statistisch betrachtet mehr Dönerbuden gibt, als in der Türkei.

Gastfreundschaft – Misafir perverlik

Meine Oma pflegte immer zu sagen: „Wenn ein Gast kommt, egal zur welcher Tages- oder Nachtzeit, musst du ihn willkommen heißen, ihn bewirten, wie wenn er ein König wäre, auch wenn er ein Landstreicher ist. Und wenn du gerade nichts zu Hause hast, musst du ihm ein Glas Wasser so servieren, als ob es Löwenmilch wäre.“ Daran muss ich immer denken, wenn es um die viel gerühmte türkische Gastfreundschaft geht. Und um die geht es zwangsläufig, wenn über die Türkei und die Menschen dort gesprochen wird.

Die Gastfreundschaft ist die erste Assoziation, die gemacht wird, wenn es um die Türkei geht. Es ist auch nicht ganz falsch. Denn es ist durchaus üblich, dass Fremde, die man gerade am Strand in einem Geschäft oder sonst wo kennengelernt hat, zu einem Besuch nach Hause eingeladen werden. Eine Ablehnung kann für den Einladenden beleidigend sein.

Wenn in Österreich über die türkische Kultur in Europa gesprochen wird, sind die Assoziationen allerdings Zwangsehe, Ehrenmord oder Kopftuch tragende Frauen. So unterschiedlich sind die Wahrnehmungen. Doch auch in Österreich haben sich die Menschen aus der Türkei ihre Gastfreundschaft bewahrt. Denn ein Gast ist Gesandter Gottes, so heißt es.

* Die Autorin ist Schriftstellerin in Wien

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