Mit Kochkunst in ein NEUES LEBEN

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"Magdas Kantine" ermöglicht Langzeitarbeitslosen einen Job am ersten Arbeitsmarkt. Das Caritas-Projekt ist kein klassisches Sozialprojekt, sondern ein Social Business.

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"Magdas Kantine" ermöglicht Langzeitarbeitslosen einen Job am ersten Arbeitsmarkt. Das Caritas-Projekt ist kein klassisches Sozialprojekt, sondern ein Social Business.

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Mittagszeit - es herrscht Hochbetrieb in "Magdas Kantine". Aus der offenen Küche strömen würzige Düfte, in den Pfannen und Töpfen brutzelt und zischt es, Geschirr und Besteck klirren. Hinter der Theke sind drei Mitarbeiter damit beschäftigt, das Eierschwammerl-Gulasch und den bunten Salat schnell und hübsch anzurichten, während die Kellner zwischen den langen Holztischen mit den "Reserviert"-Schildern hin- und her sausen.

"Ich liebe die geschäftige Atmosphäre, wenn es hier voll wird", sagt Anja Murez, während sie die geschnittenen Karotten und Tomaten mit dem Salat mischt. Die 47-Jährige mit den kurzen braunen Haaren kann nun endlich ihre Kreativität in der Arbeit ausleben. "Jetzt habe ich eine Aufgabe, die ich liebe, ich arbeite mit interessanten Leuten zusammen und verdiene auch mehr Geld als bisher", sagt sie freudig und nimmt ihre Kochschürze ab.

Ein neuer Job, ein neuer Alltag

Die Belgierin kam vor neun Jahren der Liebe wegen nach Österreich, doch den Berufseinstieg hatte sie sich leichter vorgestellt. In ihrer Heimat hatte sie ihr eigenes italienisches Weinlokal geführt. Obwohl sie schnell Deutsch lernte, konnte sie mit ihrer Ausbildung, einem Studium der Orientalistik, nicht beruflich Fuß fassen. "Die Frau beim AMS kannte dieses Studienfach nicht einmal", erinnert sie sich. Also ging Murez vier Jahre lang putzen, wollte sich dann als Sprachlehrerin selbstständig machen. Das hat aber nicht geklappt.

Nun hat es endlich geklappt. Die größte Herausforderung in ihrem neuen Job? Murez zeigt lachend ihre Finger, die von mehreren Pflastern umwickelt sind. Wenn es schnell gehen muss, schneidet sie schon mal daneben. "Ich muss noch viel lernen", meint sie, "aber ich lerne jeden Tag soviel dazu." Die Arbeit gibt ihrem Leben eine neue Struktur. Jeden Morgen bäckt sie ab halbneun Uhr ihre eigenen Brot-Kreationen, täglich eine andere. Danach bereitet sie die Zutaten für den Salat vor, schmeckt das Dressing ab, richtet an. Am Ende kommt das Abwaschen und Putzen, ehe es gegen halbsechs nach Hause geht.

Insgesamt fünf Vollzeit-Kräfte wurden in den letzten vier Wochen in "Magdas Kantine" eingeschult. Hier erhalten benachteiligte Arbeitnehmer die Chance, am ersten Arbeitsmarkt dauerhaft Fuß zu fassen (siehe Kasten rechts): Langzeitarbeitslose, Menschen mit Migrationshintergrund, ältere Arbeitnehmer. Das neue Lokal ist nur eines der vielen sozialen und kulturellen Projekte der Caritas und des Vereins Superar, die in der ehemaligen Ankerbrotfabrik in Wien-Favoriten beherbergt sind.

Seit längerem gibt es hier schon eine Schule für Sozialbetreuungs-Berufe sowie das "Atelier10", wo Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen ihre Kunst produzieren und ausstellen können. Neu sind ein "Carla"-Secondhand-Shop, in dem Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet werden und das Projekt "Community Cooking", bei dem Bewohner des Grätzels in einer Gemeinschaftsküche zusammen kochen und essen. Bei der Caritas erhofft man sich, im Kreta-Viertel rund um die Absberggasse einen Ort der Begegnung zu schaffen, wie es auch mit der Brunnenpassage in Ottakring gelungen ist. "Wir wollen verschiedene Gruppen miteinander ins Gespräch bringen und eine soziale Durchmischung erreichen. Die Vereine aus der Umgebung sollen sich hier einmieten", erklärt Caritas-Sprecher Martin Gantner.

Der Knick in der Biographie

Von einem bunten Mix spricht auch Küchenchef Peter Pölzl, wenn er von seinen Mitarbeitern erzählt. Die Mischung reicht von jung bis alt, der Radius von Afrika bis Nordeuropa. Was die Leute eint, ist der Knick in ihrer Biografie - und die überbordende Motivation, nun unter Beweis zu stellen, dass sie es sehr wohl können. "Sie sind nicht nur zum Zwiebel und Kartoffel schälen hier, sondern scharren richtig in den Startlöchern, weil ihnen bewusst ist, welche Chance sie hier bekommen", sagt Pölzl mit spitzbübischer Freude. Er achtet zwar darauf, den Druck zu dosieren und nicht zuviel Tempo zu machen, überträgt aber seinen Mitarbeitern immer wieder ein Stück mehr an Verantwortung. Letztlich geht es ihm darum, ihr Selbstwertgefühl zu stärken: "Sie sollen lernen, auf ihr Bauchgefühl zu hören, selbst zu beurteilen, ob die Suppe schon cremig genug ist. Immerhin haben sie sich in den vergangenen vier Wochen schon extrem gesteigert." Die Hilfsköchin Anja Murez will er spätestens in 18 Monaten zum Lehrabschluss führen.

Er selbst, ein Gastwirts-Sohn, hat sich als Spätberufener in der Spitzengastronomie hochgearbeitet - und ist nun bewusst zu diesem Caritas-Projekt gewechselt. Die Haubenküche hat ihm auf Dauer keinen Spaß gemacht: "Es war zwar schön, mit den tollsten Produkten zu arbeiten, aber letztlich war mir der Unterschied zu groß zwischen dem, was die Leute draußen kriegen und dem, was die hinter dem Herd kriegen." Sein Knowhow und seine Leidenschaft fällt in "Magdas Kantine" auf fruchtbareren Boden. Hier kann er sein Motto, "Leben und leben lassen", in die Tat umsetzen.

Fit für den Arbeitsmarkt

Pölzls kulinarische Ansprüche sind nach wie vor hoch: "Wir bieten eine durchaus gehobene Küche, einen Mix aus gediegen und modern", beschreibt er. Pölzls Ziel ist es, dass seine Mitarbeiter irgendwann in einer herkömmlichen Küche unterkommen: "Sie sollen hinausgehen in die Betriebe, wie Profis auftreten und ihre automatisierten Handgriffe beherrschen, sodass niemand auf die Idee käme, dass sie ein paar Jahre pausiert haben."

Inzwischen möchte eine größere Runde von Gästen bezahlen, John Mwene kassiert die Beträge. Der 50-jährige Mann, der aus Kenia stammt, wurde von Pölzl aus einer anderen Caritas-Einrichtung hierher geholt. Den neuen Job betrachtet er als große Chance: "Von Tag eins an kann ich hier mein Ideen einbringen und mitgestalten - von der Einrichtung des Lokals bis zur Zusammenstellung der Menüs." Mwene, der schon seit 1987 in Österreich lebt, führte sein eigenes afrikanisches Lokal im zweiten Wiener Bezirk. "Die ersten paar Jahre ist es gut gelaufen, dann immer schlechter", erzählt er. Als sein Restaurant pleiteging, gestaltete sich die Arbeitssuche für den zweifachen Familienvater äußerst zäh. Er konnte bloß für jeweils sechs Monate in verschiedenen AMS-geförderten Projekten mitarbeiten, war danach wieder arbeitslos. Mwene ist froh, endlich wieder einen dauerhaften Job gefunden zu haben. "Es ist eine neue Herausforderung für mich", sagt er. "Ich kann dank dieses Jobs meine Lebensqualität verbessern." Er hofft, dass er gut ins Team passt und langfristig bleiben kann.

Nicht bloß ein Sozialprojekt

Jeder seiner Mitarbeiter habe das Zeug zur Führungskraft, ist Restaurantleiter Ruben Turner überzeugt. "Unsere Leute haben einen riesigen Erfahrungsschatz in verschiedenen Branchen und Lebenswelten angehäuft, was sich sehr befruchtend auswirkt." Die Kundschaft solle nicht nur deshalb das Lokal besuchen, weil man so halt ein Sozialprojekt unterstützt, sondern weil ihnen das Essen schmeckt und sie sich wohlfühlen. "Es geht hier nicht nur um die Schaffung von ein paar Jobs. Dieses Projekt ist von Anfang bis Ende nachhaltig: sozial, wirtschaftlich und ökologisch." Mit regionalen und saisonalen Produkten zu arbeiten und nichts wegzuschmeißen, ist ihm wichtig: "Wir arbeiten mit vielen kleinen Initiativen zusammen, für die unsere Kooperation langfristig existenzsichernd ist."

Derzeit schnuppern zwei jugendliche Männer mit türkischem und afghanischem Migrationshintergrund einen Tag pro Woche in der Küche und im Service. Für das nächste Jahr werden zwei Lehrlinge gesucht. "Wir sehen uns gezielt nach Asylwerbern um, die sich so eine neue Existenz aufbauen können", erklärt Turner.

Inzwischen ist die Hektik des Mittagsbetriebes vorüber. Das Stimmenwirrwarr im Gästeraum ist nun leiser, die Popmusik aus dem Radio hörbar. In der Küche werden große Töpfe ausgewaschen, Gläser gespült, die Edelstahl-Flächen sind glänzend gewischt. Anja Murez weiß schon, welches Brot sie morgen früh backen wird: Focaccia mit getrockneten Tomaten.

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