Etwas tun, damit sich etwas tut

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Ernst Moosbauer grinst verschmitzt, als ihm die Kellnerin endlich sein Grillhendl mit Pommes frites serviert; sein Seidel hat er schon fast ausgetrunken. Der 70-Jährige sitzt im Rollstuhl an den hintersten Tisch geschoben im Gasthaus Schmalzer in Schönau, einer Gemeinde im oberösterreichischen Mühlviertel, und tratscht vergnügt mit seinen Sitznachbarn. Es ist Freitagmittag, um drei Tische drängen sich Pensionisten aus der näheren Umgebung. Das Motto: Gemeinsam schmeckt's besser als einsam. Zweimal im Monat treffen sie sich hier zum Mittagessen, heute bereits zum fünften Mal.

Aber heute ist es anders: Gäste sind da, die Lokalzeitung Tips und sogar ein kleines Fernsehteam. "Da schau!", kreischt eine alte Frau mit Kopftuch am Nebentisch vergnügt, als sie die Leute von Mühlviertel TV erspäht. Mit gestreckter Hand und leuchtenden Augen zeigt sie auf die Kamera. Das Fernsehen, das interessiert sich sonst eher selten für sie.

Lieber gemeinsam mittagessen

Eingeladen hat der Verein "Tu was, dann tut sich was". Er fördert 74 Projekte mit sozialem Charakter in der Region Mühlviertler Alm -einem Verband von zehn Gemeinden mit knapp 18.000 Einwohnern. Schönau ist eine davon. "Tu was" will Ideen der Bürger für ihre Region unterstützen: vom Versuch, das Autostoppen wieder populärer zu machen, bis zum gemeinsamen Mittagessen. "Leisten können wir es uns ja", sagt Moosbauer, denn das Mittagessen wird aus eigener Tasche bezahlt. Der Verein, der über Stiftungen finanziert wird, übernimmt nur die Kosten für den Shuttledienst zum Gasthaus.

Einen Tag lang geht es mit dem Vereins-Van quer durch die Region, in der es streng genommen gar keine Almen gibt: Saftiggrüne Hügellandschaften prägen die Landschaft. Es ist die dritte "Tu was"-Region. In den vergangenen zwei Jahren wurden der Lungau in Salzburg und die Steirische Eisenstraße, eine Region mit 60.000 Einwohnern, gefördert. Die Projekte werden wissenschaftlich begleitet, die Ergebnisse im "Sozialatlas" publiziert.

Es ist ein strahlend-heißer Tag kurz vor Schulschluss, nur vereinzelt sorgen Quellwolken für Schatten. Eingebettet in die Landschaft liegt auf einer Anhöhe der Reitpark Gstöttner, eine 40 mal 60 Meter große Reithalle erlaubt den Betrieb auch im Winter. Im vergangenen halben Jahr bot der Betrieb verbilligte Reitkurse für Kinder an: Für fünf Euro pro Stunde konnten sie sich hier mit Pferden vertraut machen, die Hufeisenprüfung absolvieren oder sich die Reiternadel erarbeiten. "Gelernt haben sie auch, dass bei Raufereien untereinander auch die Pferde nervös werden", sagt Gabi Unterluggauer. Die Volksschullehrerin hat ehrenamtlich am Pferdehof gearbeitet und die rund 60 jungen Reitschüler betreut.

Ihre Schule befindet sich eine Gehminute vom Gaushaus Schmalzer entfernt. Mittlerweile ist hier die große Ferienruhe ausgebrochen. Am Tag der "Tu was"-Tour haben sich jedoch die Schüler in dunkelblauen T-Shirts mit Schullogo im Chor aufgestellt: "Lesen macht uns allen Spaß, lesen bringt fürs Leben was!", brüllt es lauthals aus gut 100 Kinderkehlen. "Denn du weißt es ganz genau: Lesen, das macht superschlau."

Vorleserinnen für daheim

Alle sind sie gekommen: Gabi Unterluggauer, Eltern und Geschwister, das Lehrerteam und die Krapfenbackköniginnen von Schönau. Auch eine 89-jährige Frau mit weißem Haar, die zuvor beim gemeinsamen Mittagessen teilgenommen hat. Das Mikrofon fällt aus und Maria Atteneder, 56, ruft über den Vorplatz, heißt alle willkommen. Sie ist Direktorin der Schule und hat das Projekt "Vorleser/-innen für daheim" gestartet. Volksschulkinder lasen dabei Pensionisten aus der Nachbarschaft aus ihren Lieblingsbüchern vor. Dafür erhielten sie Stempel in Lesepässe, die in ein großes gemeinsames Buch geklebt wurden.

Auch Atteneders Mutter hat mitgemacht. Sie sitzt auf einer roten Couch mitten am Vorplatz, um sie herum eine Gruppe Schüler, die das Projekt nochmals nachspielt (siehe oben). Geduldig lauscht sie den Kindern. Und nach einer Tanzeinlage schallt es: "Bücher lesen -ein Genuss! Mit der Fadheit ist jetzt Schluss."

In der Umgebung wurden 17 wasserdichte Bücherboxen aufgestellt: Mini-Bibliotheken in der Natur. Darin befinden sich Werke der britischen Kinderbuchautorin Enid Blyton, des schwedischen Schriftstellers Henning Mankell, aber auch Titel wie "Hey Heißhunger, ab jetzt bin ich der Boss". Bei Bauernkrapfen und Getränken wird im kühlen Turnsaal der Schule weitergefeiert. Frische Wiesenblumen schmücken Biertische, dazwischen wuseln Kinder umher. Am Rand der Halle stapeln sich Bücher in Ikea-Boxen zur Verlosung. Die Direktorin ergreift das Mikrofon und bittet Clemens Sedmak zu Wort.

Sedmak ist der Initiator von "Tu was". Der 43-jährige Universitätsprofessor hält einen Lehrstuhl für Sozialethik am King's College in London und leitet das Zentrum für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg. Man könnte ihn als akademisch umtriebig bezeichnen: Mit 30 wurde er jüngster Universitätsprofessor Österreichs, in der Vergangenheit absolvierte er Gastprofessuren in Kenia, Ghana, Mexiko und den Philippinen; Forschungsaufenthalte brachten ihn in die Schweiz, die USA und nach Kanada. "Eigentlich war eine solch bürgerliche Akademiker-Karriere nicht geplant", sagt Sedmak.

Heute forscht er auch am Internationalen Forschungszentrum für soziale und ethische Fragen in Salzburg. "Tu was", sagt er, sei entstanden, um aus dem akademischen Elfenbeinturm auszubrechen. "Im wahrsten Sinne des Wortes." Das Büro des Forschungszentrums befindet sich am Mönchsberg in Salzburg. Man wollte die Idee der Kulturhauptstadt aufs Land bringen, kreatives Potenzial wecken. Es sollten Regionen gelebter Menschlichkeit entstehen, in einer Zeit, in der sich der Wohlfahrtsstaat zurückzieht.

Lokales Wissen wiederbeleben

Sedmak schwingt sich auf ein Stockerl am Rand der Turnhalle und ergreift das Mikrofon. Er trägt ein giftgrünes Hemd und blaue Turnschuhe; so, als wäre er gerade dem Elfenbeinturm entstiegen, wirkt er nicht. Er habe vor Kurzem ein Buch gelesen, sagt er. Über die chinesische Kulturrevolution. Man wollte die alte Kultur einfach entsorgen. "Tu was" sei genau das Gegenteil: Es gehe darum, lokales Wissen wiederzubeleben und durch Austausch zu erhalten. Anfang 2015 soll das Projekt im Mühlviertel mit einer Publikation abgeschlossen werden. Man hofft, dass dann viele Initiativen fortgeführt werden. Dann soll es in einer neuen Region weitergehen -mit neuen Projekten, die von einer Jury bewertet und genehmigt werden.

Es ist Abend geworden. Clemens Sedmak sitzt bei einem saftigen Bio-Steak im Innenhof des Mühlviertler Berghofs. Für Kinder werden hier Ferienwochen angeboten, bei denen sie über Landwirtschaft lernen. Denn die Beziehung zu Lebensmitteln gehe zunehmend verloren, erzählt der Betreiber: Ein Bub habe einmal einen Apfel auf einem Baum entdeckt und erstaunt gefragt, wer den da hinaufgehängt hätte. Am Mühlviertler Berghof versucht man auch deswegen, kleinstrukturierte Landwirtschaft zu erhalten. Im Zuge von "Tu was" sind ein Gemeinschaftsgarten und eine Kräuterspirale entstanden -25 Leute packen an und ernten wöchentlich ihre Bio-Kiste.

"Unsere Hauptfrage an die Leute in der Region lautet immer: Was hat sich durch die Projekte für euch verändert?", sagt Sedmak. Die häufigste Antwort: "Wir haben neue Kontakte geknüpft und können besser mit fremden Leuten zusammenarbeiten." Das sei nicht zu unterschätzen, betont der Forscher. Denn auch wenn sich am Land viele kennen würden, so gebe es trotzdem Berührungsängste. "Genug getan werden kann nie."

Nähere Infos unter www.tu-was.at

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