6536078-1946_16_11.jpg
Digital In Arbeit

Wenn am Kedron die Rosen knospen

Werbung
Werbung
Werbung

Ungezählte Pilger haben ihn jahrelang — oft ein Leben lang — heiß ersehnt: den ersten Blick auf Jerusalem. Von Jaffa geht es über Berg und Tal immer höher bis zum unruhigen Lifta, dem biblischen Nephtoa, wo einst die Grenze zwischen den Stämmen Juda und Benjamin verlief. Plötzlich tut sich das Tal auf und gegenüber liegt Jerusalem vor dem Blicke. Viele Tausende von Eilger haben sich hier schon zur Erde geworfen und den Psalm angestimmt: „Wir werden die Heimat des Herrn betreten.“ Viele — besonders die russischen — haben hier das Gelübde erfüllt, auf den Knien den kilometerweiten Weg zur heiligen Stadt zurückzulegen, die schimmernd, von einzelnen Türmen überragt, vor ihnen lag. Kaum ist in dem Steingewimmel die Kuppel der Grabeskirche auszunehmen, wohl aber der ölberg, der hinter der Stadt den Zug der Judäischen Berge beginnt.

Ostern in Jerusalem! Voll von ergreifendem Gedenken und festlichem Begehen. Es beginnt am Palmsonntag mit der großen Palmenprozession am Ölberg, dessen Himmelfahrtskirche heute eine Moschee ist; geführt vom Lateinischen Patriarchen, umgeben von seinen Bischöfen und Prälaten, gleicht der Zug dem glorreichen Einzug Christi auf der Eselin, umringt von palmenschwenkender Menge und Hosannah-Rufen, hinunter ins Gidrontal und empor zum Goldenen Tor, das heute vermauert ist, in die Stadt. Vorbei an der Stätte, da der Herr das Paternoster lehrte, über der sich eine französische Kathedrale erheben soll, die erst in den Grundmauern sichtbar ist, und an der Stätte, da eine Marmortafel erinnert: „Und Er weinte über der Stadt.“ Es ist der . schönste Blick auf Jerusalem, auf die alten Stadtmauern, den einstigen' Tempelplatz und und auf die bis Golgatha sich auftürmende Stadt. Er weinte über der Stadt, die in ihrer Geschichte fünfunddreißigmal erobert wurde und in der Er nach dem „Hosannah“ das „Crucifige“ voraussah.

In der stillen Gedenkstunde in der Basilika von Gethsemaneh lebt am Gründonnerstag abends das Geschehen vom ölberg wieder auf, an den Kartagen in den Kreuzweg-Prozessionen von der Via Crucis nach Golgatha die erschütternde Erinnerung an das Leiden Christi, am Ostersonntag am Grabe Christi in der Grabeskirche im „Resurrexit!“ , das große, festliche Geheimnis der Auferstehung. Gläubige aus aller Herren Länder, aller Zungen der Erde versinnbilden die katholische Universalität, vergleichbar in ihrem überwältigenden Eindrucke nur mit den Hochfesten in der Peterskirche in Rom.

Gefährlich wird es freilich, wenn das katholische und das griechische Osterfest zusammenfallen, doch hat die englische Polizei schon lange nicht mehr eingreifen müssen, um das traditionelle Abkommen über die Benützung der heiligen Stätten zu sichern. Als sinnfälliger Ausdruck dieses betrüblichen Bruderstreites, der einst viel zur Verachtung der Christen durch die Moslems beigetragen hat, ist der erbärmliche Bauzustand der Grabeskirche, eine stete Mahnung an die Christenheit der ganzen Welt, Trennung und Eifersucht zu überwinden.

Um den christlichen und jüdischen Osterfesten etwas entgegenzusetzen, hat Kalif Soliman das Moslemfest von Nebi Musa, des Propheten Moses, eingeführt, das am Freitag vor dem griechischen Palmsonntag mit einem lärmenden, fahnenschwenkenden Einzug von Abordnungen von Nord und Süd nach Jerusalem beginnt und am griechischen Karfreitag mit der Prozession von der Omarmoschee nach Nebi Musa endet, dem angeblichen Grabe Moses am Fuße der Judäischen Berge zum Toten Meere zu. Sie wird vom Großmufti zu Pferde geführt und bewegt sich langsam durch die Altstadt, während alle Arten altarabischer Tänze,

Schwertkämpfe und heiße Kampfgesänge abwechseln, die für Europäer und Christen keine Freundlichkeiten enthalten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung