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Norbert Müllers neuester Roman "EASY Deutschland".

Vorangestellt hat Norbert Müller seinem Roman EASY Deutschland ein Personenverzeichnis. Das verwundert zunächst, denn als "Hauptfiguren" werden gerade einmal sieben Personen aufgelistet. Damit müsste der Leser bei einem über 400 Seiten starken Roman eigentlich zu Rande kommen. Doch man verwechselt die Figuren tatsächlich immer wieder, wohl weil die Folie des sozialen und menschlichen Scheiterns so kompakt über ihrer aller Leben gebreitet ist. Deshalb blättert man auch kaum zurück zum Personenverzeichnis; es ist einfach nicht wichtig, vor welcher der sieben Lebensbühnen man sich gerade befindet, die in kleinen Portionen von fünf bis zehn Seiten abwechselnd bespielt werden. Außerdem sind die Figuren einander in Freundschaft oder Feindschaft - in Liebe etwas weniger - treu verbunden, und ihre Wege kreuzen sich unweigerlich immer wieder.

Gemeinsam ist allen Akteuren, dass sie schon einige hoffnungsfrohe Ausfahrten hinter sich haben und nun, an der Schwelle zum Alter, eher Ernüchterung angesagt ist. Als Akademiker und Künstler wollten sie einst die Welt erobern, mittlerweile geht es eher darum, irgendwie und irgendwo noch ein rettendes Ufer zu erreichen. Carols Firmenidee "EASY Deutschland" ist so ein Versuch: eine Servicefirma, die betuchten Ausländern die Akkulturation in Deutschland erleichtern helfen soll. Arthur hat hier Unterschlupf gefunden, nachdem das Ende der TV-Serie "Doktor Markus" auch das abrupte Aus für ihn als Regisseur bedeutete.

Diesen Karriereknick teilt er mit Eckhard, dem ehemaligen Dramaturgen der Serie, und Guido, deren Hauptdarsteller. Kein Wunder, dass die drei einen - vielleicht den letzten - Neustart mit einem Filmprojekt versuchen; ebenso wenig verwunderlich, dass die Luftblase bald platzt.

Schrill und schräg

Daneben, dazwischen und darüber gelegt sind alle denkbaren sexuellen Abmischungsverhältnisse des Figurenensembles. Das Ehepaar Erik und Marion scheitert an den pubertierenden Kindern ebenso wie aneinander, Carol lässt sich heimlich von Arthur schwängern, weil ihr Mann Eckhard, der Kummeresser, die Entscheidung für das gemeinsame Kind nicht treffen will, und die vorübergehend fast erfolgreiche Autorin Ann Charlotte verdankt ihre Zwillinge einem flotten Dreier mit Guido und seiner Frau Simone. Ann Charlotte zieht dann allerdings zu Erik, nachdem seine Frau Marion - beste Freundin von Ann Charlotte - mit dem Zeichenlehrer der Tochter abgehauen ist.

Als Gesellschaftskomödie bezeichnet der Klappentext das Buch, und damit lässt sich das Schrille, Schräge und Überzeichnete gut erklären. Kurz hat der Autor scheinbar sogar überlegt, das Ganze endgültig ins Groteske zu kippen und eine allumfassende Versöhnung aller Figuren im Zeichen der Zwillings-Babys ausbrechen zu lassen - aber im Finale schwenkt er doch auf die realistische Ansammlung persönlicher Einzelkatastrophen um.

Amüsant und satirisch

EASY Deutschland ist amüsant zu lesen, auch wenn der Autor manches selbst wieder zerstört. Absolut gelungen ist etwa die Satire auf die Machtkämpfe in der Volkshochschule Großfelde-Marienrade, wo Erik Deutsch-Programmleiter ist. Eigentlich hat hier gar keiner einen wirklich bedeutsamen Posten, weil es einen solchen in Großfelde-Marienrade gar nicht gibt, gerade deshalb muss umso heftiger um jedes Pöstchen gerangelt werden. Das beschreibt Norbert Müller leichtfüßig und überzeugend, leider überstrapaziert er dabei seinen Running Gag und berichtet etwas zu detailverliebt von Eriks überall und allerorten ausgelebter Masturbationsmanie.

Vielleicht nur hoffnungslos veralterte Sozialromantiker vermissen insgesamt bei der Lektüre des Romans auch, dass sich der Autor an keiner Stelle zu fragen scheint, ob es nicht jenseits aller individuellen Verstrickungen und Schrullen auch gesellschaftliche Gründe sind, die eine ganze Generation von antretenden Akademikern und Intellektuellen so flächendeckend zu Bauchlandungen verurteilt hat. Wer darüber etwas erfahren will, kann immer noch zu den nicht weniger ironisch-amüsanten Romanen Wilhelm Genazinos greifen.

EASY Deutschland

Roman von Norbert Müller

Residenz Verlag, St. Pölten 2007

427 Seiten, geb., € 21,90

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