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Kunstfigur aus der Fastfood-Welt

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Die Vorarlberger Autorin Ulrike Längle, übrigens eine Germanistin, erzählt in ihrem Roman „Tynner" spannend und phantasievoll die Geschichte eines Universitätsdozenten, der einen Roman über „die Risse im Putz der Gesellschaft" schreiben möchte. Darin soll sich die Theorie des Seriösen finden, wobei das Seriöse weder lachen noch weinen machen, weder auf das Zwerchfell noch auf die Tränendrüsen wirken, weder Lust noch Unlust, dafür aber Ergriffenheit und staunende Anerkennung erregen soll. Längle erspart dem Leser peinliche Einzelheiten über den Roman, teilt aber mit, daß Tynner, sollte er an dem Roman doch scheitern, ein seriöses Kochbuch zu schreiben gedenkt. Und zwar eines, in dem wenigstens die Mengenangaben stimmen.

Tynner ist ein einsamer Mann, dem eine Putzfrau die Wohnung in

Schuß hält und der ziemliches Pech hat, weil ihm nicht nur die 97jährige Mutter stirbt, sondern er auch noch beim Reiten von seinem Pferd abgeworfen wird. Gern geht er ins Theater und zu Konzerten, wobei ihm die Bühnenschicksale und musikalisch vermittelten Stimmungen häufig recht lächerlich vorkommen.

Im Grund genommen ist er eine von jenen zahllosen Figuren, deren Schicksal aus Filmen, Fernsehserien, Nachrichten, Zeitungsberichten und dergleichen bekannt sind. Längle hat in ihm eine literarische Figur geschaffen, deren Verwandte als visuelles Fastfood aus dem Leben kaum mehr wegzudenken sind. Wir leben schließlich in einer Zeit, die hungrig nach Einzelschicksalen ist.

Immerhin vermag die Autorin in diesem Einzelschicksal die unterschiedlichsten Formen des fiktiven alltäglichen nackten Wahnsinns unterzubringen. Dazu gehören beispielsweise die Beschreibung eines

Nachtisches, der aus Vanillepudding mit Muttermilch besteht, oder die Nennung einer päpstlichen Enzyklika „Tempus estivale", die formuliert, daß Sommerzeit mit dem Naturrecht unvereinbar sei, weil sie ein Eingriff in die von Gott gewollten natürlichen Zeitabläufe darstelle, oder die Selbstcharakterisierung einer bildungsphilisterischen Lesewut, die sich so anhört: „Den ganzen Rilke habe ich auch schon durchgelesen. Das ist wirklich Dichtung. Alle Achtung."

Ulrike Längle ironisiert bizarre Hervorbringungen des Geistes und zitiert verfremdend literarische sowie filmische Themen. Dabei findet sie einen humorvollen Ton, der den Leser letztlich sogar dazu bringt, fallweise über sich selbst zu lachen.

TYNNER

Roman von Ulrike Langte. Collection S Fischer,

Frankfurt/M. 1996. — 139 Seiten, Pb, öS 133,-

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