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Wie heißt Espresso auf Italienisch?

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Mit beißender Ironie beschreibt Herbert Rosendorfer in seinem neuen Buch „Absterbende Gemütlichkeit" das Münchner Kleinbürgertum. Grimmige Hellsichtigkeit und eine Menge Situationskomik kennzeichnen die „Zwölf Geschichten aus der Mitte der Welt".

Flüssig und dialogreich beleuchtet der Autor die Facetten des Milieus. Der Titel „Wie heißt Espresso auf Italienisch?" ist fast schon eine Geschichte für sich. „Oktoberfest", die erste Erzählung, ein gelungener und noch eher harmloser Einstieg ins Gemüt des Münchner Kleinbürgers, läßt herzhaft schmunzeln. Sie schildert den Besuch der Familie Deren-diger beim jährlichen Wiesenfest, angefangen von der Auseinandersetzung, die Hose des alten Derendiger betreffend, über die turbulente Straßenbahnfahrt, den gestohlenen Verpflegungskorb, die untreue Freundin von Heinz, bis hin zu Hor-sti und Oma, die sich übergeben, dem alten Derendiger, der im Vollrausch auf allen vieren gehen will und seinem älteren Sohn, der zusammengeschlagen im Schlamm landet.

Die Geschichten sind, bei allem burlesken, Rosendorfer-typischen Humor, durchwegs vom Geist einer kritischen Auseinandersetzung getragen. Ob es nun ein Ausflug ins Filmmilieu ist, bei dem der Stuntman anstelle des Regisseurs, der einem Kollegen das Drehbuch gestohlen hat, verprügelt wird und dadurch zu einer Stange Geld kommt (um das er allerdings gleich wieder betrogen wird), oder die Schilderung der Urlaubsreise der Schlegelbergers.

Um Kosten zu sparen, wird die Oma im Hotel nicht angemeldet, darf ihr Zimmer wegen dem Portier nicht verlassen und muß obendrein jeden Tag über den Balkon zuerst in das eine, dann in das andere Zimmer flüchten, um vom Stubenmädchen unbemerkt zu bleiben.

Zu essen bekommt sie die aufs Zimmer geschmuggelten Beste der anderen und zum I Iöhepunkt wird sie während eines Ausflugs der Familie irgendwo in der Nähe von Rimini unterwegs vergessen. Erst einen Tag später taucht sie in Venedig auf und wird vom Schweizer Konsulat zu ihrer Familie zurückgeschickt.

Die Geschichten sind voll Ironie und schwarzem Humor: „Für den Rest der Zeit in Rimini blieb die Oma im Zimmer und hielt sich, selbst während sie aß, am Bett fest. Immer wieder weinte sie. Da sie sich fortan weigerte, über die Zwischenballu-strade zu steigen, entdeckte sie das Zimmermädchen. Der Pensionspreis mußte nachgezahlt werden. ,Nichts wie Scherereien mit den Itakern', schimpfte Herr Schlegelberger. Das

Geld reichte nicht mehr. Zum Glück hatte Birschi Pointvogel eine eiserne Beserve dabei. ,Typisch', flüsterte Schlegelberger später, .hätte natürlich kein Wort davon gesagt. Der Knicker.' Die Oma hielt sich auch in München immer am Bett fest. Nach zwei Monaten mußte sie in eine Heilanstalt gebracht werden. Auch dort hielt sie sich am Bett fest.

Mit den Pflegern redete sie italienisch'. Übers Jahr starb sie. ,1m Grunde genommen ist es eine Erlösung für sie', sagte Frau Gusti bei der Beerdigung-"

In „Ewige Wache" kommt der ernste Hintergrund der Geschichten des Autors, der selbst fünfzig Jahre in München gelebt hat, voll zum Tragen. Mit grimmigem Witz schildert er Autor ein Treffen alter Nazis.

Rosendorfer, von Beruf Richter, geht auch in seinen Geschichten mit den Münchner Kleinbürgern ins Gericht. Er prangert ihre Selbstzufriedenheit, den duckmäuserischen Opportunismus, die boshafte Neugier, genauso wie ihre Ignoranz und Brutalität an.

Der flüssige Stil und der großartige Witz machen das Buch zu einem großen Lesevergnügen.

ABSTERBENDE GEMÜTLICHKEIT

Zwölf Geschichten aus der Mitte der II eil. Von Herbert Rosendorfer.

Kiepenheuer & Wusch, Köln 1996. 256Seiten, geb. öS264,-

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