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SPIESSER-IDEOLOGIE. Von der Zerstörung des deutschen Geistes im 19. und 20. Jahrhundert. Von Hermann Glaser. Verlag Rombach, Freiburg im Breisgau, 1964. 280 Seiten, 14 Tafeln.

Wie sind aus harmlosen Deutschen jene Nationalsozialisten geworden, für die „harmlos“ ein Schimpfwort war? Ein Buch darüber schreiben, heißt nicht zwecklos einen Leichnam mißhandeln. Nein: Eine solche Untersuchung ist sinnvoll, wollen wir nicht wie ein Mergenthau glauben, alle Deutschen seien von vornherein verworfen. Aber zu welchem Ergebnis kommt Glaser? Er schreibt witzig, gewiß; noch witziger ist es, wenn er — nach Neumanns Manier — Viechereien einfach zitiert. Doch im ganzen ist er anscheinend so ziemlich der Ansicht, alle Deutschen, die nicht Marxisten oder doch Progres--sisten sind, seien von vornherein verworfen. Sie sind es ganz gewiß dann, wenn sie Bilder scheußlich finden, die Goebbels entartet genannt hat.

Also — mit Verlaub — so geht das nicht! Wenn ich meine Frau lieber von Anton Werner als von Pascin gemalt sähe, bin ich darum, so Gott will, noch kein Mördergenosse. Gewiß, de gustibus non est disputandum, der Autor hat ebensoviel Recht auf seinen Geschmack wie der Rezensent; und doch sind da Grenzen gesetzt. Wenn also Glaser „die Primitivität der Melodie“ der Volkshymne erwähnt (S. 165), so ist es bestimmt nicht Haydn, den wir bedauern werden.

Item, der Autor, hat ein Recht auf seine politische Überzeugung; und wenn sie republikanisch ist, wird ihm niemand den Mund verbieten. Aber man kann eine Überzeugung mehr oder weniger geschmackvoll ausdrücken. Wenn er nun in der Beschreibung der „nationalistischen Hexenküche“ die Namen ausgerechnet „des Bayrischen Heimat- und Königsbundes, des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes“ nebeneinander setzt, merkt man die Absicht, und man wird — nicht freundlich gestimmt. Die Sache wäre natürlich in Ordnung, wenn der „Deutschnationale Handlungsgehilfenverband“ ebenso viele Blutopfer unter Hitler aufzuweisen hätte wie der erstgenannte Verband; so aber — doch über Glasers Geschmack siehe Haydn.

Auch wenn die Tatsachen soweit stimmen, ist an der Darstellung etwas schief. Daß der französische Chauvinismus dem deutschen gleichkam, erwähnt der Autor in zwei Sätzchen; und doch ist die Tatsache wesentlich, daß genauso wie in dieser Angelegenheit die Slawen „den deutschen Lehrmeistern zum schuldigen Dank endlich auch ihre Narrheiten nachahmten“ (Grillparzer dixit), ebenso die Deutschen in Beranger und Hugo, in Deroulede und Clemen-ceau kaum zu überbietende Vorbilder hatten. Nur waren die alle vier gute Republikaner, wo nicht gar Sozialisten; ja, Bauer, das ist was ganz anderes. Da reden wir doch lieber von der Ähnlichkeit zwischen Hitler und Wilhelm II. — der ihn haßte...

Noch etwas an Glaser ist auffallend: seine schnaubende Verachtung für den Kleinbürger. Dieser gehört, weiß Gott, nicht immer zu den liebenswertesten Menschentypen. Aber eine so völlig abschätzige Ausdrucksweise ist doch nur bei jemandem verständlich, der selbst einer ganz anderen Klasse angehört. Ich weiß es nicht: Ist Glaser Heringfischer oder Fabrikarbeiter, Senn oder Reichsgraf? Das wäre gut zu wissen, um seine Klassenvorurteile verstehen zu können. Verläßliche Leitfäden bei geschichtlicher Forschung sind sie kaum.

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