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Die erste Achte

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Im Rahmen der Bruckner-Gesamtausgabe, deren erster Band 1930 publiziert wurde und die heute über 30 Partituren zählt, erschien 1972 die erste Fassung der VIII. Symphonie, ein Werk, das bis heute unbekannt geblieben ist. Hofrat Prof. Dr. Leopold Nowak, der Editionsleiter der Bruckner-Gesamtausgabe nach dem Zweiten Weltkrieg und Herausgeber der meisten Werke, konnte in der Gesellschaft für Musik diese Urfas-sung der bekannten späteren Version der VIII. Symphonie gegenüberstellen, dank dem Umstand, daß der Verlag Doblinger, in welchem die Gesamtausgabe erscheint, über das Tonband der bisher einzigen Wiedergabe verfügt. Sie war durch das Bornemouth Symphonieorchester unter dem aus Österreich stammenden Dirigenten Hans-Hubert Schönzeler zustande gekommen. Die zahlreichen Besucher des Vortragsabends durften somit, wenigstens in Ausschnitten, eine Bruckner-Erstaufführung erleben. Gewiß ein eindrucksvoller Auftakt für das Bruckner-Jahr 1974!

In seinem Referat umriß Leopold Nowak die Entstehungsgeschichte des Werkes. Fakten, deren Kenntnis für die Beurteilung der beiden Fassungen von größter Wichtigkeit sind, wurden dabei ins rechte Licht gerückt. Denn diese Umarbeitung hat Bruckner nicht aus freien Stücken vollzogen: Er wurde dazu durch die Ablehnung der Erstfassung von selten Hermann Levis veranlaßt, jenes Dirigenten, den er für die glanzvolle Wiedergabe der VII.Symphonie so hoch schätzte. Aus dem Briefwechsel zwischen Levi, Josef Schalk und Bruckner geht hervor, wie tief und schmerzlich den Meister diese Ablehnung traf, wie ausschließlich er die Schuld bei sich selber suchte. Die unmittelbar darauf folgende Umarbeitung, die 1890 abgeschlossen wurde, ist heute allgemein als ein Meisterwerk bekannt; aber auch die Erstfassung, die in den Jahren 1884 bis 1887 entstand, ist ein solches! Davon durfte man sioh bei der Konfrontation von Tonbandbeispielen überzeugen. Beides ist echter Bruckner! Über die Unterschiede der beiden Fassungen wird die Musikwissenschaft detailliert zu befinden haben. Beim ersten Hören erlebte man sie als ästhetische Parallelen: den Kürzungen und Straffungen der Endfassung stehen dort eliminierte, herr-liohe Passagen der Erstfassung, eine zwar weniger leuchtende, dafür den tiefen Ernst des Werkes unterstreichende Instrumentation und stellenweise sogar im Sinne von musikalisch deutlicher hervortretende Zusammenhänge gegenüber. Ohne Zweifel hat Leopold Nowak recht, wenn er die Bewertung der Unterschiede kommenden Publikationen vorbehält. Die Grundlage dafür wurde jedenfalls von kompetentester Seite geschaffen. Daß bisher noch kein Orchester für die erste vollständige Wiedergabe der Erstfassung in Österreich interessiert werden konnte, ist freilich schockierend.

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