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Dokumentation der Zerstörung

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I Thomas Bernhards Roman „Der Italiener“' ist im Salzburger Residenz-Verlag ersohienen: ein neues Dokument /der Zerstörung. Thema: Die Unfähigkeit, sich verständlich zu machen, der Zwang, nebeneinander einhervegetieren zu müssen. Kindheitseindrücke, Momentaufnahmen, Passagen, die Bernhard für den WDR und den Filmer Ferry Radax 1970 nach einem alten Fragment umgearbeitet hatte, wurden zu einer seelischen Situationsaufnahme ohne Handlung verdichtet. „Geschichten hasse ich“, sagt der Autor, „ich bin ein Geschichtenzerstörer.“ Also muß er statt der Geschichte Zustände analysieren: „Das Alleinsein, das Abgeschnittensein, das Nichtdabeisein einerseits, dann das fortgesetzte Mißtrauen anderseits, aus dem Alleinsein, Abgeschnittensein, Nichtdabeisein heraus ...“ (aus dem Fragment „Drei Tage“).

Schon die Vorstudie zu „Der Italiener“ muß vieles der späteren Werke vorweggenommen haben: Die Intensität der Atmosphäre, die Dichte. Der Leichenwagen fährt durchs Dorf, hinauf zum Herrenhaus. Der Herr ist im Glashaus aufgebahrt, wo heute eine Komödie gespielt werden sollte. War es ein Unfall? War es Selbstmord? Der Landvermesser geht seiner Arbeit nach. Alles wird vermessen, seit Jahren. Trauergäste kommen, Kondolenzpost wird gebracht, Kränze werden abgeladen, der Katafalk wird hergerichtet. Fetzen von Bartök-Streichquartetten aus dem Zimmer des Italieners, unterbrochen vom Trauermarsch aus dem Gasthaus, von Schüssen aus dem Wald. Der Sohn und der Italiener gehen über die Waldlichtung, das Massengrab. Das Glashaus wurde zum Schlachthaus für polnische Kriegsgefangene. Der Tote ist feierlich aufgebahrt. Situationen, Geräusche, Bewegungen erstarren zu Bildern. Trauer kann jeden Augenblick ins Groteske umschlagen...

Schon der Versuch einer solchen Inhaltsangabe läßt fühlen, was Thomas Bernhard in einem Interview, eigentlich einem Monolog für das Fernsehen, präzisiert hat: „Das Schreiben als Geschwür, das Schreiben als Lust,..“ Schreiben scheint für Bernhard immer mehr zum masochistischen Lustempfinden zu 'führen, gleichsam ein kompliziertes technisches Verfahren, Kindheitserinnerungen aus der Dämmerung des Ichs aufsteigen zu lassen. Der im Band „Der Italiener“ abgedruckte Monolog „Drei Tage“ ist randvoll mit solchen qualvollen Erinnerungen an Eiter, Schlachtschußapparate, Tod, Friedhöfe, Aufbahrungshallen, die die Kindheit Bernhards mitbestimmten ... Alleinsein ist der ständige Wunsch. Und er ist immer allein. Viel mehr, als er es eigentlich will. Allein mit seinen Toten. Im Gedanken an die Vorfahren: „ ... die meisten haben sich irgendwann plötzlich einmal umgebracht ... Einer ist einmal in einen Lichtschacht gesprungen, der andere hat sich eine Kugel in den Kopf gejagt...“

Es ist ständige Finsternis in Thomas Bernhards Büchern, eine totale Finsternis. Der „Italiener“ ist da keine Ausnahme. Weil dieses Fragment genauso künstlich ist wie das „Kalkwerk“ oder sonst etwas. Alle Figuren, Ereignisse, Vorkommnisse spielen sich auf einer Bühne ab, und der Bühnenraum ist total finster. „Auftretende Figuren auf einem Bühnenraum, in einem Bühnenviereck, sind durch ihre Konturen deutlicher zu erkerinen, als wenn sie in der natürlichen Beleuchtung erscheinen wie in der üblichen, uns bekannten Prosa. In der Finsternis wird alles deutlich. Uns so ist es nicht nur mit den Erscheinungen, mit dem Bildhaften — es ist auch mit der Sprache so. Man muß sich die Seiten in den Büchern vollkommen finster vorstellen: Das Wort leuchtet auf, dadurch bekommt es seine Deutlichkeit oder Uberdeutlichkeit...“

Besonders interessant wird das Bernhard-Buch durch die Gegenüberstellung des einen Themas in drei Versionen: im Fragment der ersten Fassung, in dem Drehbuch zum Film des Regisseurs Ferry Radax und in den Photos aus diesem Film, geschossen von Heidrun Hubert. Drei sehr gegensätzliche Wege, Bernhards Imagination zu suggerieren.

DER ITALIENER. Von Thoma Bernhard, Residenz-Verlag, Salzburg, 164 Seiten, 32 Abbildungen.

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