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„Verstörung“ zweiter Teil

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„ ... wie Konrad ■ vor fünfeinhalb Jahren das Kalkwerk gekauft hat, sei das erste die Aufstelking eines Klaviers gewesen“, — genau.so beginnt der neue Roman von Thomas Bernhard, „Das Kailkwerk“. Fast auf den Tag genau mit dem Erscheinen dieses Buches erhielt sein schon mehrfach preisgekrönter Verfasser den Büchner-Preis. Wenn man den Zeitungsmeldungen glauben dürfte: Für „Daa Kalkwerk“. Aber dann müßte man sich fragen: Woher kannten die Juroren die Güte des ungedruckten Werkes? Oder: Wer hat ihnen das Manuskript zugespielt? Jedenfalls ist sich binnen wenigen Wochen alle literarische Welt einig geworden, daß wir hier das epische Ereignis der Saison vor uns haben. Wer wagte da noch banausisch zu fragen, warum das Meisterwerk mit „wie“ anhebt (und nicht mit „als“) und warum der Einlert-tungssatz im Perfekt steht (und nicht im Imperfekt). Soll die irgendwie ungeschickt klingende Ausdrucksweise von vornherein den „Erzähler“ kennzeichnen, von dem wir ansonsten weder Nam' noch Art erfahren, außer daß er (S. 9) „gestern gleich drei der neuen Lebensversicherungen hat abschließen können“ und (auf der vorletzten Seite) auch mit Fro „heute die Lebensversicherung hat abschließen können“? Der Eindruck des ersten Satzes trügt nicht,- er bleibt bis zum Schluß aufrecht: „Das Kalkwerk“ läßt sich besser interpretieren, als es sich lesen läßt. „Nur für Leser“ hat Friedrich Sieburg — vor 15 Jahren — eines seiner Bücher betitelt. Das vorliegende von Thomas Bernhard, möchte man meinen, dient vor allem dem Hinein- und Herausleser; der bloße Leser kommt weniger auf seine Rechnung. Denn womit rechnet er, wenn er ein Buch aufschlägt, das unter dem Titel den Vermerk „Roman“ trägt. Noch immer — Hand aufs Leserherz — mit einer Story, wenigstens im weitesten Sinne des Wortes. Aber die ganze Geschichte ist schon aus, wenn der Roman beginnt. Wie beim Krimi: Der Mord an der Gattin bildet die Vorgeschichte. Darüber hinaus: Auch die Aufklärung des Falles und die Festnahme des Täters sind bereits absolviert: auf den ersten zwei Seiten wird kurz darauf verwiesen. Die Geschehnisse sind also abgeschlossen, und wir bekommen nun, 270 Seiten lang, die Psychoanalyse des Täters erzählt (hat mit Freuds Psychoanalyse nichts zu tun), und zwar in unzähligen Einzelheiten. Nur ganz selten wird ein Ereignis bruchstückhaft zitiert, in der schwierigen Regel werden Ansichten und Charaktereigenschaften aufgezählt: Sie ergeben zusammen einen schlechthin absoluten Pessimismus, den schrankenlosen Pessimismus eines Verrückten. Diese Grundhaltung wird durch den drei-zeillgen Vorspruch motiviert: „Anstatt daß ich aber während des Auf-undabgehens an die Studie denke, soll er zu Wieser gesagt haben, zähle ich die Schritte und werde dadurch halb verrückt.“ Wieser ist eine der Auskunftspersonen, auf die sich der „Erzähler“ ständig beruft. Thomas Bernhard nämlich weiß zwar schier alles über Konrad (den Besitzer des Kalkwerks, Mörder seiner unheilbar kranken, schon vor der Hochzeit total verkrüppelt gewesenen Frau, welchem seit Jahrzehnten eine Studie über Hören und Sehen vorschwebte, die er jedoch niemals „auf das Papier zu kippen“ vermochte), aber Bernhard will trotzdem nicht einer der heute verpönten allwissenden Erzähler sein und führt darum jeweils die Quelle seines Wissens an. Beispielsweise, „mit Kunst, die er, Konrad, hasse, habe sein Klavierspiel nicht das Geringste zu tun gehabt, er improvisierte, so Fro, und habe, So Wieser, an jedem Tag“

usw. Oder: „mit dieser Waffe hat

Konrad sie in der Nacht vom vierundzwanzigsten auf den fünfundzwanzigsten Dezember mit zwei Schüssen in den Hinterkopf (Fro), mit zwei Schüssen in die Schläfe (Wieser), urplötzlich (Fro), am Ende der konradschen Ehehölle (Wieser), erschossen.“

Auf den ersten Seiten finden sich noch einige Absätze, dann geht es amorph in einem dahin. Offenbar legt der Autor nur auf Leser wert, die so eine pausenlose Aneinanderreihung von Notizen mitzumachen vermögen. Stilistisch wirkt vieles verwunderlich, etwa daß einer „auf einmal immer wieder nichts mehr wissen wollte“, oder der rätselvolle Satz: „Jahrelang hat er die Studie geheimhalten können, naturgemäß nicht meiner Frau, sondern auch allen anderen Menschen gegenüber.“ Einen Büchner-Preis dem, der uns das erklärt! (Auch wenn „seiner Frau“ gemeint war, bleibt nach der Negation „nicht“ die Fortsetzung „sondern auch“ unverständlich.) Doch auch die absurde Wendung „Aber nichts sei komischer als alles“ wäre im fidelen „Simpl“ leichter zu begreifen als in dem todernsten Roman eines Thomas Bernhard.

Anscheinend liegt hiermit der „Ver-störung“ anderer Teü vor. Konnte die beim Namen genannte „Verrücktheit“, bei aller überhandnehmenden thematischen Monotonie, dort noch in einem subtil entworfenen Roman-aufbau untergebracht werden, so blieb diesmal nur die Distanz der Reportage durch einen .völlig Unbeteiligten übrig, der offenbar Versicherungsgeschäfte machen wollte und sich dabei alles anhören mußte, was die Leute in ihrer momentanen Unsicherheit bewegte. Wenn das alles auch gut sein mag, weiß man schließlich doch nicht, wozu es gut sein soll. Nach der Schwerarbeit dieser Lektüre hat man leider nicht den Eindruck, daß der Bericht über die Symptome dieses intellektuellen Halbnarren eine Figur ergab, geschweige denn, daß seine verkrampfte Weltsicht die wahre sei.

DAS KALKWERK. Von Thomas Bernhard. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main, 1970. 270 Seiten DM 18.—

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