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Neutralität

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Großmächte haben mit Neutralen keine Freude. Wer nicht für sie ist, ist gegen sie. Stalin bezeichnete die neutralen Schweizer als „Schweine ”, und als Österreich endlich der Staatsvertrag winkte, mußten in langwierigen diplomatischen Bemühungen die Amerikaner überzeugt werden, daß Neutralität nicht gleichbedeutend mit Neutralismus sei.

Derzeit gibt es in Österreich Ansätze zu einer Neutralitätsdiskussion, deren Niveau aber vielleicht manchmal etwas gesteigert werden könnte. Ziemlich unverhohlen haben Politiker auch zu verstehen gegeben, daß Österreich jetzt „getestet” werde. Und es war in der Tat frappierend, wie rasch die Engländer für einen Flugtransport über unser Gebiet eine andere Route fanden, als Minister Löschnak das Ansuchen etwas abliegen ließ.

In seiner besonders in unseren Tagen wieder recht lesenswerten Schrift „Die Atombombe und die Zukunft des Menschen” hat sich Karl Jaspers auch sehr ausführlich mit der Neutralität auseinandergesetzt. Jaspers unterscheidet zwischen einer „sittlich-politischen Neutralität ” und einer Neutralität, die „nur für den Augenblick” gewählt wurde. Die „sittlichpolitische Neutralität” müsse geschichtlich wachsen und sich bewähren: „Denn ihr Träger ist ein Volk, das sich an ihr entwickelt hat, nicht ein Vertragsparagraph in internationalen Abmachungen.”

Jaspers stellt der Verantwortung der Großmächte eine andere Verantwortung gegenüber, die er dem Neutralen zumißt: „der Menschheit zu dienen durch Bewahrung eines Ortes, an dem in allem Kampf die Kämpfenden sich noch treffen können zum Gespräch... den Gedanken der Hilfe statt dem des Kampfes mit gleichen Opfern wie die Kämpfenden zu erfüllen.”

Sehr eindringlich betont er, daß Neutralität kein Ausweichen vor dem Opfer sei. Nur: Es sind andere Opfer, Opfer durch Handlungen des Friedens. Und Jaspers definiert auch deutlich die Grenze zwischen Neutralität und Neutralismus: Politische Neutralität verlangt nämlich ein Ethos, einen sittlichen Entschluß. Neutralismus aber ist für Jaspers die Erweichung des Charakters: „Der geistige Neutralismus läßt alles in irgendeiner Weise gelten, entzieht sich und ist die Folge des unverbindlichen, ästhetischen Zusehens.” Daher auch die Forderung des Philosophen, größte Anstrengungen für die Verteidigungsrüstung zu unternehmen.

Die Zeiten wandeln sich, und es ist durchaus möglich, daß unter geänderten politischen Bedingungen auch unsere Neutralität in Frage gestellt werden kann. Leichtfertig freilich sollte das nicht geschehen, denn es handelt sich um ein politisches Kapital, das wertvoller ist, als manche glauben.

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