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Schock in Ottakring

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32 Minuten Amtshandlung der Wiener Polizei in der Nacht vom vergangenen Mittwoch haben die Öffentlichkeit verschreckt und Panikstimmung verbreitet. Zwei erfahrene Kriminalbeamte, der 50jährige Revierinspektor Otto Blechner und sein 29jähriger Kollege Manfred Pöchner, haben, nach einer zweimaligen Einbruchsmeldung, bei ihrem Eingreifen zwei Geschäftsleute in der Wiener Yppengasse in Ottakring niedergeschossen.

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32 Minuten Amtshandlung der Wiener Polizei in der Nacht vom vergangenen Mittwoch haben die Öffentlichkeit verschreckt und Panikstimmung verbreitet. Zwei erfahrene Kriminalbeamte, der 50jährige Revierinspektor Otto Blechner und sein 29jähriger Kollege Manfred Pöchner, haben, nach einer zweimaligen Einbruchsmeldung, bei ihrem Eingreifen zwei Geschäftsleute in der Wiener Yppengasse in Ottakring niedergeschossen.

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„B«stohl«n, beraubt — und dann von der Polizei niedergeknallt!“ „Fehlleistung der Polizei: Schüsse auf Unschuldige“, überschrieben die Tageszeitungen jenen bedauerlichen Zwischenfall, bei dem jeder jeden für einen Verbrecher hielt. Sofort wurde von einem „unverständlichen Skandal" bei der Polizei gesprochen, der die Münchner Ereignisse beim Bankraub in den Schatten stelle.

Noch verhängnisvoller wurde das Unglück — und ein solches ist es nun einmal — für das Image der Polizei in den Augen der Öffentlichkeit, hatte doch just das Monatsmagazin ,,Profil“ in sattsam bekannter Manier gegen die Polizei zum Sturm geblasen. Zugegeben: Die Polizeiverantwortlichen haben bisher den bequemsten Weg der Verbrechensbekämpfung begangen, nämlich abzuwarten, bis sich eine Lösung anbietet. Dafür werden aber durch „scharfe Aktionen“ mit Strafmandaten biedere Verkehrssünder zum Ersatzopfer für latente Kriminelle. Die „Verbrechen gegen das Vermögen“ steigen von Jahr zu Jahr mehr an, aber nur 25 Prozent der Fälle werden aufgeklärt. Die Zahl der Polizisten in Wien sinkt ständig, dafür häufen sich zunehmend Strafprozesse gegen die Sicherheitsbeamten.

Wie, so steht die Frage unbeantwortet im Raum, kann man dieses Problems Herr werden? Offensichtlich liegt aber die Antwort nicht so klar auf der Hand, wie man anderswo glaubt. Die Gesellschaft von heute wendet sich immer mehr gegen jede Autorität des Staates, versucht diese Autorität abzubauen, wenn nicht sogar zu untergraben. Auf der anderen Seite verlangt die Öffentlichkeit heute mehr denn je Schutz vor jener Minderheit, die wir als kriminell bezeichnen. Sogar die Politiker haben mit der verstärkten Verbrechensbekämpfung einen Wahlkampf Schlager gefunden.*

Und trotzdem schlägt das „goldene Herz des Österreichers“ für zwei Meinungen: Einerseits Härte bis zur letzten Konsequenz gegen die Kriminellen, anderseits bemitleidet man den „armen Kriminellen“, wenn er mit letzter Konsequenz behandelt wurde.

Anstatt mit sich selbst ins Reine zu kommen, gesellt sich zum Ruf

„Schützt uns vor den Kriminellen“ noch der Ruf ,.Schützt uns vor der Polizei". Die Rechtfertigung dafür glaubt man aus jenen Fehlleistungen ableiten zu können, wie sie eben in der vergangenen Woche passiert sind. Die kriminelle Minderheit der Gesellschaft ist dann letztlich der Nutznießer dieser Haltung.

Nur am Rande: Die breite Öffentlichkeit übersieht im Ausspielen der kriminellen Minderheit gegen die Minderheit der Ordnungshüter jene Mißstände, die zwar ein Skandal sind, nicht aber als solcher gewertet werden. Ganz einfach deshalb, weil diese Öffentlichkeit sich selbst für menschlich hält: Um die beiden Opfer des Polizeiirrtums in der 1. Spitalsklasse unterbringen zu können, wurde von Verwandten der beiden Geschäftsleute ein Barerlag von 40.000 Schilling gefordert. Vorschrift ist Vorschrift, egal wie sich der Sachverhalt darlegt, und Menschlichkeit läßt sich nur mit Geld erkaufen. Die Selbstverständlichkeit, daß die Summe refundiert wird, wurde amtlich breitgetreten und mit Applaus bedacht: Die Gemeinde Wien zahlt an Hackel und Gröger 40.000 Schilling, „der Gemeinde Wien ihrerseits werden die 40.000 Schilling vom Innenministerium erstattet werden“, betont die Wiener Rathauskorrespondenz dazu pedantisch.

Die Polizei ist deprimiert, die Öffentlichkeit verschreckt. Beschützer und Beschützte leben in gegenseitigem Mißtrauen. Solange aber dieses Mißtrauen nicht beseitigt wird, kann der Kriminalität nicht an dem Leib gerückt werden. Ebenso, wie die Schüsse der Polizei auf zwei Unschuldige eine Fehlleistung darstellen, ist es eine Fehlleistung der Öffentlichkeit, die delegierte Autorität nicht als solche anzuerkennen. Ob sich aber beide dieser Tatsache bewußt werden?

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