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Der Tod des Rentners

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Was wir in der vergangenen Woche in Wien erlebt haben, weckte Erinnerungen an die Tage des Februar und März 1938. Erinnerungen und Vergleiche. Die Polizei der Umbruchsepoche war bereits von Staatsgegnern geführt, von Eidbrüchigen, von Hochverrätern. Die Apathie, welche die Polizisten in den Tagen vor der Okkupation zeigten, war eine befohlene.

In den Märztagen 1965 war es anders. Den Demonstranten in der Wiener Innenstadt, die durch die Äußerungen eines Herrn Taras B. bewogen wurden, auf die Straße zu gehen, stand keine dem Staat feindlich gesinnte Exekutive gegenüber, sondern überhaupt keine. Die Situation war jener der deutschen Kristallnacht nicht unähnlich: Die Polizei hatte den Auftrag, bei den Ereignissen einfach Spalier zu stehen.

Die Eindrücke der letzten Woche lassen darauf schließen, daß unsere Wachkörper in der Bundeshauptstadt, trotz höchsten Einsatzwillens der Beamten, bei solcher Führung kaum die Machtprobe einer kritischen Situation bestehen könnten.

Die Demonstrationen hätten eigentlich neben der gleichzeitig stattfindenden Tagung des Nationalrates nicht zugelassen werden dürfen. Wie dem auch sei, die Protestdemonstration der Widerstandsbewegung wurde angemeldet und genehmigt. Den Gegendemonstranten, die ihr Vorhaben ebenfalls angekündigt hatten, wurde keinerlei Anmeldung zugemutet. Was nicht sein darf, ist eben nicht. Als vor tausenden Zuschauern die beiden Demonstrationszüge aufeinanderstießen, war die Polizei einfach nicht da. Vereinzelte Posten waren den „Waffen“ der Demonstranten nicht gewachsen.

Polizisten, die sonst befehlsgemäß streng vorgehen müssen, falls sie kleiner Buben auf einem umfriedeten Rasen ansichtig werden, waren gezwungen, die Rolle von Zuschauern zu spielen. Und dies in einer Situation, in der offenkundig die Ordnung des Staates in ihrer Gültigkeit bereits im Prinzip angegriffen wurde. Die Polizisten mußten die Bedrohung der staatlichen Ordnung gewähren lassen.

Eine Polizei, die durch falsche Einsatzbefehle auf Uniformträger ohne Exekutionschance degradiert wird, kann durch Wach- und Schließgesellschaften ersetzt werden. Das Inkasso von Strafmandaten für Parksünder kann, wie dies in manchen Ländern 9 der Fall ist, einem Parkingservice übertragen werden.

Fernseher, Photoreporter und glücklicherweise auch die Rettungsgesellschaft waren da präsent, wo früher Polizei hätte stehen müssen.

Der Tod des Rentners ist eine Anklage. Nicht allein wider die TotSchläger, sondern auch gegenüber jenen, die durch falsche Befehle oder j durch das Unterlassen von Befehlen einen Zustand herbeigeführt haben, j der zur Tötung eines Menschen geführt hat.

Die von oben befohlene Zurückhaltung unserer Polizei, die Räumung des Mittelfeldes zwischen den Demonstranten war ein geradezu historischer Beitrag der für die Führung der Polizei Verantwortlichen zu den Jubiläumsfeierlichkeiten 1965. Während Demonstranten jeder Aufmarsch gestattet ist, muß die Polizei sich in ihren Quartieren mit Schachspielen beschäftigen. Das Aufmarschverbot I reiht sich würdig an das bereits proklamierte Aufmarschverbot II aus Anlaß der Parade zum Geburtstag der Zweiten Republik.

Die Krise der Führung unseres Sicherheitsapparates ist allmählich zu einer Staatskrise geworden, und dies bereits im 20. Jahr der Republik.

„Die Furche“ hat sich in der Auseinandersetzung um Taras B. mit Darstellungen des Sachverhaltes begnügt. Sie hat daher auch das Recht, den bisherigen Darstellungen ohne Emotion einige Hinweise anzufügen:

• Im Fall der Ereignisse an der Hochschule für Welthandel wurde in einem ungebührlichen Umfang mit Vereinfachungen gearbeitet, mit dem Argument einer Kollektivschuld, das wirklich Schuldige und Unschuldige gleichsetzt und in gleicher Weise aburteilt.

• Prof. Taras B. ist ein Einzelgänger. Uber ihn ist gesagt, was zu sagen war. Die Verunglimpfung einer ganzen Gruppe von Amtsträgern, von Hochschullehrern, die man einfach als Neonazi abzustempeln versuchte, muß jedoch zurückgewiesen werden. Die Demonstrationen, die scheinbar einem Bekenntnis zu einer Person galten, hatten von der ersten Minute an völlig andere Beweggründe. Herr Taras B. war ein Instrument. Mehr nicht.

• Ebenso abwegig ist, die Angehörigen einer ganzen hohen Schule, „die Welthändler“, mit Neonazis, und-wie immer die Bezeichnungen lauten, gleichzusetzen. Wenn dies geschieht, kommt es zu einer Integration aus der Abwehr, zum Entstehen eines auch politisch ausmünzbaren Korpsgeistes als Folge der Zumutung einer Kollektivschuld. Diesen Gefallen darf man Borodajkewicz und seinem kleinen Kreis von echten Gesinnungsgenossen nicht tun.

• Schließlich zeigt sich neuerlich, daß man meist die Falschen bestraft, wenn es sich um strafrechtliche Delikte politischer Etikette handelt. Die offiziöse NS-Literatur, welche die Parolen, unter denen demonstriert wurde, publiziert, darf sich ungehindert in unser Land einschleichen. Die „Deutsche Nationalzeitung“ vermag ohne Widerstand die rotweiß-roten Grenzen zu passieren. Staatsfeindschaft darf ungehindert proklamiert werden. Für einige ist sie sogar noch ein Geschäft. Beamte der NSDAP finden wohlhonorierte Staatsstellungen und Ehrenämter.

Die abgehaltene Trauerminute für das Opfer eines der wenigen echten Neonationalsozialisten, die in unserem Land ohne Behinderung ihre Tätigkeit ausüben dürfen (nur Mord und Totschlag ist noch ein letztes Tabu), sollte nicht nur dem Opfer gelten, sondern auch unserer Republik, die wieder ein Opfer von Unfähigkeit Verantwortlicher zu werden Gefahr läuft.

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