6891347-1979_47_01.jpg
Digital In Arbeit

Zweierlei Maß

Werbung
Werbung
Werbung

Für den 12. November hatte die „Plattform Ärzte für das Leben“ zu einem Protestmarsch gegen die Abtreib-Ges. m. b. H. am Wiener Fleischmarkt (FURCHE 38 1979 und 44 1979) aufgerufen. Ordnungsgemäß, so wie es das Versammlungsgesetz von Demokraten verlangt, wurde diese Demostration auch bei der Vereinsbehörde angemeldet.

Als die rund 450 Demonstranten, die dem Aufruf der Ärzte gefolgt waren, an diesem Novembemach- mittag vom Wiener Rathaus zum Fleischmarkt marschieren wollten, stellten sich ihnen rund 200 Gegendemonstranten entgegen.

Nicht angemeldet.

Bereits beim Abmarsch vom Rathausplatz zeichnete sich die Konfrontation ab. Die Ärzte gerieten unter Beschuß: Die mit Farbe gefüllten Eier waren aber nur ein Vorgeschmack.

Die Gruppe der Gegendemonstranten - militante Frauen, die sich sonst im Wiener Frauenzentrum oder im Rahmen der Bewegung für Sozialismus tummeln - blockierte den Ärzteprotest an der Wiener Ringstraße.

Was dort passiert ist, darüber gibt es zwei Meinungen. So etwa berichtete die Tageszeitung „Die Presse“, daß zwar ein starkes Polizeiaufgebot die Ärztedemonstration sicherte, „doch waren die Polizisten nicht in der Lage, die ungefähr 200 Gegendemonstranten, die ‘ Sich auf dem Ring postiert hatten, abzudrängen. Die Einsatzkommandos warteten eine Stunde lang auf eine politische Entscheidung, die aber wieder einmal auf sich warten ließ.“

Ähnliches hat auch Protestmarsch-Organisator Johann Wilde in Erinnerung. Freien Durchmarsch erhielt der Demonstrationszug erst, „als ein Autobus losgefahren ist, der dort geparkt war“. Durch diese Bresche, die der Autobus in die Front der Gegendemonstranten geschlagen hatte, ging es dann „im Laufschritt, vorneweg die Polizei, durch die Innenstadt“.

Prügel lagen in der Luft.

Sie dürften nicht nur dort gelegen sein. „Da hat es schon auch blutige

Nasen gegeben“, erinnert sich ein Demonstrationsteilnehmer.

Demgegenüber, meint man in der Wiener Polizeidirektion, „ist ja eh alles klar gegangen“. Binnen 20 Minuten wäre die zur Sperre formierte Gegendemonstration „mittels Körperkraft abgedrängt“ worden.

Und selbstverständlich kann man sich bei der Polizei auch an keinerlei Handgreiflichkeiten erinnern. Offiziell ist nichts aktenkundig.

Selbst wenn diese Version stimmen sollte, ist längst nicht alles so klar, wie es sich für das Polizeipräsidium darstellt.

Das Versammlungsgesetz schreibt vor, daß eine Demonstration innerhalb der Amtstunden 24 Stunden vorher bei der Vereinsbehörde angemeldet werden muß. Wird eine Demonstration nicht angemeldet, ist die Behörde berechtigt, ja sogar verpflichtet, diese aufzulösen. Und wenn es gar zu Störaktionen kommt, muß sie untersagt werden.

Diese klaren gesetzlichen Bestimmungen wären für die Praxis ein nicht minder klarer Auftrag. Denn für den einfachen Staatsbürger steht fest: „abdrängen“ ist nicht „auflö- sen“.

Das Polizeipräsidium - besser gesagt: die auskunftsbefugte Pressestelle - kennt derlei kleinliche Unterscheidung nicht. „Was ist der Unterschied zwischen abdrängen und auf- lösen?“, will man vielmehr dortselbst erklärt haben.

Wobei man den feinen Unterschied bei der Polizei durchaus kennt - und bei Einsätzen praktiziert. Es wird mit zweierlei Maß gemessen. Gerade die jüngste Vergangenheit hat dafür gute Beispiele geliefert, die dies untermauern.

Wenn eine Handvoll Jugendlicher den Rasen des Wiener Burggartens besetzt, schreitet die Polizei selbstverständlich ein: mit Gummiknüppeln und Faustschlägen.

Wenn 450 Demonstranten von ihrem demokratischen Versammlungsrecht Gebrauch machen wollen und daran gehindert werden, können die Gegendemonstranten weiter stören.

Wenn fünf Dutzend Jugendliche zum Wiener Rathaus kommen, um mit Wiens Bürgermeister Gratz zu sprechen, wird das Rathaus von 400 Mann Polizei hermetisch abgeschirmt.

Wenn linke Randalierer während einer laufenden ÖVP-Veranstaltung in der Wiener Phorushalle die Halle besetzen und damit den Abbruch der Veranstaltung erzwingen, geht die Polizei nicht gegen die Besetzer, sondern gegen die Zuschauer vor.

Selbstverständlich ist man sich in den Führungsetagen des Polizeipräsidiums dieser Ungereimtheiten bewußt. Das Stichwort „Rasen“ genügt, um die Verlegenheit vollends zu machen. „Sehen Sie“, so die offenherzige Antwort, „das ist ein politisches Problem.“

Polizeieinsatz nach politischen Gesichtspunkten - vielleicht gar parteipolitischen Gesichtspunkten - ist freilich das Letzte, was hierzulande geduldet oder gewollt sein dürfte.

Wo die Polizei wie einschreitet - dieses heikle Thema gehört deshalb diskutiert, vor allem auch im Interesse jener Polizeibeamten, die Befehle oder Nicht-Befehle zu exekutieren haben. Denn sie sind in erster Linie Zielscheibe des Unmutes und der Kritik der Bevölkerung.

Die Polizei ist auf das Vertrauen der Bevölkerung angewiesen. Und dieses Vertrauen ist durch die jüngsten Ereignisse teilweise erschüttert. Mit „Schaun S’, mir san in Österreich“, wie ein Polizeioffizier bei der Ärztedemonstration die Frage „Warum tun Sie denn nichts?“ beantwortete, kann die Vertrauenskrise nicht ausgeräumt werden.

Wer dieses Unbehagen nicht zur Kenntnis nehmen will, provoziert das andere Extrem, den Ruf nach rigoroser Ordnung.

Wiens Polizeipräsident Karl Rei- dinger ist am Wort. Wir hätten es ihm gerne eingeräumt, doch war er für die FURCHE bis zum Redaktionsschluß nicht erreichbar.

Zugegeben: Die angeschnittenen Fragen sind nicht angenehm, aber es ist notwendig, sie emotionslos zu stellen. Eine Antwort wäre zumindest die Demonstration des guten Willens, die nicht polizeilich gemeldet werden muß.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung