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... und das Ohr bei den Stammtischen
Der „Macher” kann es sich nicht leisten, auf die Möglichkeiten, die populistische Politik bietet, zu verzichten. Populismus ist ein brauchbares Instrument, sperrige Gegenkräfte - ob Minderheiten, wissenschaftliche Befunde oder wertorientierte Kritiker - noch dazu mit Beifall bedankt, an die Wand zu spielen. Vergessen wir nicht: Der Macher verwaltet einen säkularen Niedergang. Aber Legitimation, Akzeptanz und Zustimmung können noch lange nicht zur Gänze virtuell aus dem Hut gezaubert werden. Daher nimmt der Macher die Frischzellenzufuhr populistischer Politik gerne in Anspruch. Populismus ist, so wie symbolische Politik, ein willkommener Ausgleich zu fehlenden Problemlösungen, Strukturreformen und Umbauten.
Populismus war lange Zeit ein Schimpfwort. Jetzt bahnt sich eine „differenziertere Sichtweise” an. Man hat das „Ohr am Volk” (so wie die
Boulevardpresse), man geht auf seine „Nöte und Stimmungen” ein, man nimmt den „Mann auf der Straße” ernst, man ist nicht mehr „Autist”. Man will wieder die „Lufthoheit über den Stammtischen” erobern, ein ebenso vielzitierter wie unwidersprochener Satz, der dem neuen Populismus ein signifikantes und entlarvendes Denkmal gesetzt hat.
Während der brutale Rechtspopulismus auf die niedrigsten In-stinkte und agressivsten Tiefenschichten im Menschen setzt, ist der neue Populismus subtiler, breiter und wirksamer. Es handelt sich eher um ein ständiges Schielen auf das Volk, um eine Willfährigkeit, die die Politik in ihrem alltäglichen Verlauf, oft genug bei jeder Geste, bei jedem Satz einschnürt und dabei die inhaltliche Ausrichtung der Politik maßgeblich prägt. Deswegen erscheint auch die Politik so aalglatt, durchkalkuliert und jedes Stirnrunzeln der Massen antizipierend.
Der alltagliche Populismus ist für die Politik ein Machtinstrument, für die Bevölkerung eine Droge. Der populistische Umgang mit den Menschen nimmt sie als diskurs- und lernfähige Wesen nicht ernst. —Er läßt sie alleine mit ihren Ängsten und Vorurteilen. Er konfrontiert sie nicht mit Befunden und Werten, die beunruhigen könnten, er fordert sie nicht, sondern schmeichelt und beläßt ihnen um kurzfristiger politischer Vorteile willen trügerische Hoffnungen. Populismus ist eine Art moderne Form der direkten Demokratie ohne Abstimmungen. Seine Affinitäten zum verfassungspolitischen Konzept der „Dritten Bepublik” sind unverkennbar. Populismus ist ein autoritärer Dialog mit dem Volk, ein Kürzel für eine Politik der Diskursverweigerung über die wichtigen Fragen und einer Nichtbeachtung der vorhandenen Lernpotentiale der Menschen.
Der Populismus prägt in hohem Maße die tagespolitischen Entscheidungen. Ob Tempolimit, Anonymität der Sparbücher, Kostenwahrheit im Verkehr, Sparpaket, Pensionsreform, Zukunft der Arbeit: Vom Mut, das Richtige und Notwendige zu tun und dies vorher ausreichend zu kommunizieren, keine Spur. Die effiziente Nutzung der Politikressource „Populismus” ist nur Folge des technokratischen Politikverständnisses, in dem effizientes Handeln aus sich selbst heraus legitimiert ist und sich Rationa-litäts- oder Wertekriterien nicht mehr stellen muß.
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