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„In sich widerspruchsvoll..“

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FURCHE: Das Volksbegehren für das „Bundesgesetz über die Auflösung des Bundesheeres“ steht zur Diskussion und ist ob seiner unklaren und widersprüchlichen Formulierungen umstritten. So wurde der Begriff der „anbexvafj-neten Neutralität“ als Basis dieses Gesetzentwurfes etabliert. ERMACORA: Ich halte den Begriff einer unbewaffneten Neutralität für einen Widerspruch in sich. Neutralität wird immer als ein Begriff verstanden, bei dem der Neutrale imstande ist, seine Position gegen Angriffe zu verteidigen. Ich glaube vielmehr, daß den Verfassern des Gesetzestextes die sogenannte „Neutralisierung“ vorschwebt. Unter Neutralisierung eines Gebietes versteht man ein Territorium, in dem keine Streitkräfte unterhalten und keine Stützpunkte eingerichtet werden dürfen. Wir haben in der österreichischen Staatengeschiche ein klares Beispiel eines Projektes einer unbewaffneten Neutralität — das heißt der Neutralisierung im Hinblick auf die Wünsche der Erhaltung Südtirols als Bestandteil Österreichs. Man hat im Jahre 1919 bei der Friedenskonferenz in St. Germain angeboten, daß ganz Tirol entmilitarisiert werden soll.

FURCHE: Setzt eine Neutralisierung nicht eine Schutzmacht voraus?

ERMACORA: Ja, es wurde damals erklärt, daß die Alliierten Mächte dieses Gebiet militärisch schützen würden.

FURCHE: Der Status der unbewaffneten Neutralität soll laut Gesetzentwurf durch einen internationalen Vertrag mit völkerrechtlich bindender Kraft anerkannt werden.

ERMACORA: Wenn man die Vereinten Nationen kennt, wenn man das Verhältnis der Großmächte untereinander kennt, so scheint es mir schon unter dem Gesichtewinkel des Jahres 1955, da man sich von österreichischer Seite vergeblich um eine Garantie der Neutralität bemüht hat, ausgeschlossen zu sein, daß man einen Vertrag erreichen kann, in dem Garantien für die sogenannte unbewaffnete Neutralität gefunden werden.

FURCHE: Da auch bei den Pro-ponenten des Volksbegehrens zur Abschaffung des Bundesheeres keine Zweifel über die lange Dauer bis zur Verwirklichung dieser Utopie besteht, schlägt man als „Übergangsbestimmungen“ eine „Demokratisierung und Rationalisierung des Bundesheeres vor“.

ERMACORA: Sie meinen 2 Abs. 1 dieses Entwurfes, wo es heißt: „Im Dienstbereich muß unter allen Umständen die Menschenwürde des Soldaten geachtet, autoritärem Verhalten bei Vorgesetzten entgegengewirkt und der Geist demokratischer Kritik bei Untergebenen gefördert werden.“ Meiner Meinung nach ist das das Ende jeder militärischen Ordnung. Was ist denn ein autoritäres Verhalten bei Vorgesetzten? Als autoritäres Verhalten kann man schon den Befehl ansehen. Aber, da das Bundesheer Teil der Verwaltung ist, wird man ohne Befehl, das heißt, ohne Weisung nicht auskommen kön-

nen. Und außerdem ist die Achtung der Menschenwürde in der allgemeinen Dienstvorschrift verankert. Sagen wir so: Die ideelle Konstruktion ist darauf gerichtet, die Menschenwürde des Soldaten zu achten.

FURCHE: Im Absatz 7 des 2 wird normiert, daß „gegen sein Wissen“ niemand gezwungen werden darf, „Wehrdienst oder Waffenübungen zu leisten“.

ERMACORA: Dieser Absatz 7 ist in sich wieder widerspruchsvoll

Photo: Votv

und steht im Widerspruch mit dem Wehrgesetz. Ich bin der Meinung, daß die heutigen 25 und folgende des Wehrgesetzes, die die Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen vorsehen, vollkommen ausreichen. Zu Waffenübungen kann ohnehin niemand eingezogen werden, weil diese heute ja freiwillige Übungen sind. Was ich aber als konstruktiv ansehe, ist das Problem des Friedensdienstes. Das ist etwas, was man in modifizierter Art anstreben könnte ... FURCHE: Letztlich wäre der Begriff des „gewaltlosen Widerstandes“ zu klären, der im Falle einer militärischen Besetzung Österreichs wirksam werden soll.

ERMACORA: Was den gewaltlosen Widerstand angeht, so würde ich ihn als eine Art passiven Widerstaind ansehen; aber insbesondere die Schweizer psychologische Kriegsführung beweist, daß gewaltloser Widerstand sehr wohl vorexerziert werden muß. Das heißt, daß es einer Organisation bedarf, die ihn plant, organisiert und exerziert. FURCHE: Ist es überhaupt möglich, „gewaltlosen Widerstand“ zu normieren? Ist es möglich, Gesetze zu schaffen, die Gesinnung und Verhalten des Staatt-bürgers im Krisenfalle abseits von jeder Vorteilhascherei festlegen?

ERMACORA: Ich glaube, es ist geradezu ausgeschlossen. In der Schweiz ist es hinsichtlich des gewaltlosen Widerstandes so, daß sich eine auf Vereinsebene gebildete Gesellschaft, nämlich das SAD, das ist der Schweizer Auf-klärungsdienst, dafür einsetzt. Die offizielle Armeeführung beschäftigt sich damit gar nicht.

* Professor Dr. Felix Ermacora ist Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien.

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