Beobachtungen zwischen Wien und Thessaloniki

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Reminiszenzen an eine Radtour, September 1989: In Ungarn wie in Jugoslawien gibt es Zeichen des Umbruchs, die sich erst im Nachhinein als solche entpuppen.

Es war Wettlust – in weniger als zwei Wochen die mehr als 1200 Kilometer mit dem Rad von Wien nach Thessaloniki zu schaffen – und alles andere als politische Awareness, die uns zwei Radler im September 1989 antrieb.

Das kleine Abenteuer begann in Nickelsdorf: Kaum hatten wir den Grenzort nach Ungarn hinter uns gelassen, waren wir – technisch – auf uns gestellt. Kein Ersatzteil für die Tourenräder, die die ganze Strecke als exotisches Gerät bestaunt wurden, gab es. Schon nach kaum drei Tagen mitten in der ungarischen Tiefebene schien die Tour vorbei, kippte doch mein Drahtesel mit dem schweren Gepäck in einem Radständer um, sodass das Vorderrad einen Knick hatte. Doch die Felge ließ sich wieder zurechtbiegen und machte die weit über 1000 Kilometer bis Chalkidiki mit – als „Achter“ zwar, aber ohne weitere Ärgernisse.

Pannonhalma – auf dem Campingplatz unter der altehrwürdigen Benediktinerabtei war dagegen der Hauch der kommenden Ereignisse schon gegenwärtig: Die Stellplätze waren mit Trabis, dem „Plastikauto“ der DDR, und Wartburgs der etwas gehobeneren Bürger des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates zugeparkt. Wenige Wochen nach dem Stacheldrahtabbau an der ungarisch-österreichischen Grenze wurden die Campingplätze zu Warteorten für die Flucht in den Goldenen Westen.

Probe für den großen Umbruch

Dass der große Umbruch hier seine Probe hielt, war uns Radlern kaum bewusst. Auch die Ungarn schienen von den ungeliebten ostdeutschen „Touristen“ kaum beeindruckt. Denn Ungarns „Gulaschkommunimus“ unter KP-Chef János Kádár hatte schon länger die „Westöffnung“ ermöglicht: Ungarische „Massen“ überströmten vorzugsweise an Samstagen längst die Shopping City Süd bei Wien. Kádár selbst war bereits am 6. Juli 1989 verstorben – ein Jahr, nachdem er von der politischen Bühne abgetreten war: Ausgerechnet an diesem Tag wurde Imre Nagy, der von Kádár gestürzte Ministerpräsident des Aufstandes 1956, rehabilitiert.

Als mindestens ebenso im Umbruch erwies sich Jugoslawien, durch das der größte Teil der Route führte. Eine dreistellige Inflationsrate machte den „Jugoslawen“ die Existenz schwer. Dass uns Radlern die Geldscheinbündel zu schaffen machten, blieb da unbedeutende Unbill. Am 28. Juni des Jahres hatte der serbische Präsident Slobodan MilosÇevic´ seine berüchtigte „Amselfeldrede“ zum 600. Jahrestag der Schlacht gehalten, in der er den Hegemonialanspruch seines Volkes bekräftigt hatte. In den Bussen oder an Häuserwänden Serbiens klebten Plakate mit dem Konterfei jenes Mannes, der als Totengräber Jugoslawiens in die Geschichte eingehen sollte.

Doch auch davon merkten wir Radfahrer wenig. Denn Jugoslawien galt ja als der „freie“ Ostblock, Österreichs Gastarbeiter kamen von dort. Die drückende Wirtschaftslage war dagegen allgegenwärtig. Die „Autoput“, damals die Verbindung zwischen Deutschland und Griechenland, war in Südserbien eine zweispurige Straße, streckenweise die einzige asphaltierte, angesichts der vorbeirasenden Fernlaster ein Alptraum für Radler.

Dann eine schmale geteerte Straße abseits der Autoput – doch der Asphalt endet unvermittelt – Grenze zwischen der serbischen und der mazedonischen Teilrepublik. Trügerisch das Schottersträßchen, im Nu wird aus der festen Fahrbahn unbefahrbarer Morast. Ein mazedonischer Kleinstbauer, der mit seinem von einem Gaul gezogenen Leiterwagen vorbeikommt, lädt die Räder auf, noch nie habe ich ein so dünnes Vieh gesehen, das den Wagen kaum durch den Morast ziehen kann. Dann, in Kumanovo, hinauf auf die vierspurige Autobahn, die einzige geteerte Straße.

Radler aus Österreich, die Griechenland mit dem Fahrrad erreichen wollen, waren im jugoslawischen Mazedonien anno 1989 einfach (noch) nicht vorgesehen.

Übrigens: Die Wette haben wir mit Leichtigkeit gewonnen.

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