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Eine gebürtige Österreicherin hat in Mexiko ein einzigartiges Volkskunst-Museum aufgebaut.

Ihre Stimme am Telefon klingt brüchig. Nach einem Blick in ihren Terminkalender schlägt Ruth D. Lechuga dann den Zeitpunkt für ein Treffen und eine Führung durch ihr Museum vor. Und die macht sie selbstverständlich selbst - trotz ihres hohen Alters und obwohl sie sich dafür an den Sauerstoffapparat in ihrem Schlafzimmer anhängen muss - zwei meterlange Plastikschläuche wird sie die nächsten beiden Stunden hinter sich herziehen. Wir haben die museale Wohnung im Edificio Condesa, einem Jugendstilbau nahe dem Schloss Chapultepec, kaum betreten und Zeit gehabt, unser Erstaunen über die enorme Fülle der Exponate zu artikulieren, die alle Räume bis obenhin anfüllen, da beginnt die zierliche alte Dame schon lebhaft zu erzählen.

Sie habe eigentlich nie die Absicht gehabt, eine Sammlung anzulegen, erklärt sie. Damals, 1939, als sie und ihre Familie als Juden von den Nationalsozialisten aus Wien vertrieben worden waren und hier in Mexiko freundliche Aufnahme gefunden hatten. "Wir haben Glück gehabt", sagt sie, gab es damals doch nur mehr wenige Länder, die Flüchtlinge aufnahmen. Das demokratische Mexiko beeindruckte sie: "Als Jahrgang 1920 habe ich doch in Österreich nur Autorität und Faschismus gekannt!" Damals verstaatlichte Präsident Cárdenas gerade die Ölindustrie aus dem Besitz britischer und nordamerikanischer Konzerne.

Ein neues Leben

Ein Schritt, der die junge Ruth Deutsch begeisterte und für Mexiko einnahm: "Wir hatten nie die Absicht, zurückzugehen. Für mich begann ein neues Leben!" Ihre ersten Reisen durchs Land unternahm sie gemeinsam mit ihrem Vater, der schon in Österreich alles über Mexiko gelesen hatte, was ihm unterkam. Zum ständigen Reisebegleiter wurde ihre 127-er Boxkamera, mit der sie Gesichter und Szenen in den Indianerdörfern dokumentierte: "Es ist für mich ein weiteres Instrument, um die Schönheit dieser Kultur zu zeigen, und sie so vor dem Vergessen zu retten." Heute umfasst ihr Fotoarchiv mehr als 20.000 Negative.

Sie, die gelernte Ärztin, wurde bald zur Expertin für mexikanische Arte Popular. Denn mit jeder Reise wuchs nicht nur ihre Sammlung, sondern auch ihr ethnografisches Wissen. 17 Jahre lang arbeitete sie im staatlichen Museum für Volkskunde in Mexiko Stadt als Museumskuratorin. "Es gibt wenig Leute, die alles sammeln, und wenige Sammlungen, die klassifiziert sind", umreißt sie die Bedeutung ihres Museo de Arte Popular. Interessiert haben sie stets Dinge aus dem Alltagsleben der indigenen Bevölkerung Mexikos: Musikinstrumente, Keramiken, religiöse Gegenstände und Votivbilder, Kunsthandwerk aus Holz, Blech, Maisstroh, Knochen, Papier ... und mehr als 2000 Textilien - aufbewahrt in riesigen Wandschränken, aus denen strenger Naphtalingeruch strömt, als sie die Türen öffnet.

1200 Masken aus dem ganzen Land, geordnet nach Regionen, Orten und Themen, zieren die Wände. Die meisten sind aus Holz, andere aus Leder oder gar - fast futuristisch anmutend - aus alten Blechdosen. Masken sind zeremonielle Gegenstände, die bei den Fiestas, den Dorffeiern getragen werden. Wer eine Maske trägt, schlüpft in eine andere Persönlichkeit - in Tierfiguren, aber auch Teufel oder Figuren aus der Geschichte. Getragen werden sie bei Tänzen zu Ehren des Dorfheiligen und viele Tänze haben einen synkretistischen Hintergrund, wenn sich die katholische Religion mit vorspanischen Überzeugungen mischt.

Verschwundenes Erbe

In den Masken und Tänzen manifestiert sich auch die Geschichte der Eroberung Mexikos durch die Spanier im 16. Jahrhundert und die systematische Missionierung der einheimischen Bevölkerung. Die christlichen Missionare verwendeten bei der Evangelisierung auch Tänze und kleine Moralstücke. Und sie brachten den Indianern bei, dass die Juden diejenigen seien, die Jesus getötet haben. Ruth D. Lechuga zeigt auf zwei Masken an der Wand, die Juden als Christenmörder symbolisieren. Dahinter stecke kein Antisemitismus der Indianer, ist Ruth D. Lechuga überzeugt, sondern die Lehren aus dem 16. Jahrhundert. Und erzählt dann, wie sie einmal darüber mit Indianern in einem Dorf diskutierte: "Ich hab gesagt: schaut mich an, ich bin auch eine Jüdin. Meinten sie: Du?! Nein, du bist doch eine von uns, du hast doch Jesus nicht getötet! Sag ich drauf: No, so alt bin ich auch wieder nicht!"

Viele Dinge, die Ruth D. Lechuga dokumentiert und gesammelt hat, sind heute bereits aus dem Alltagsleben der indianischen Bevölkerung verschwunden. Dieses kulturelle Erbe soll ihre Sammlung für heutige und spätere Generationen bewahren helfen. Als Dank dafür, dass Mexiko ihr vor mehr als 60 Jahren das Leben gerettet hat, soll das Museum einmal dem mexikanischen Volk gehören. Das ist das Vermächtnis der Ruth D. Lechuga.

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