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WELTMACHT DUMMHEIT

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Zweifellos gibt es einen Schutz der Dummheit. Rings umgibt uns Dummheit, aber dies in jedem Fall festzustellen, ist zu gefährlich, denn die Richter ahnden den Vorwurf der Dummheit, Wir dürfen den Dummkopf nicht dumm nennen. Wohl deshalb achten wir zuwenig darauf.

Was aber ist Dummheit? Wer sich aus geistiger Beschränktheit vermißt, Urteile abzugeben, wer keine folgerichtigen Schlüsse zu ziehen vermag, ist ein Dummkopf. Doch auch kluge Menschen sind der Dummheit fähig. Dumme Gedanken habe jeder, meint Wilhelm Busch, nur der Weise verschweige sie. Aber nicht jeder, der Geist besitzt, ist weise, viele überschätzen sich. Daher erklärt La Bruyėre, wer sich auf einem bestimmten Gebiet auszeichne, sollte über einen Gegenstand, den er nur schlecht beherrscht, schweigen, sonst rede er wie ein Tor.

Außer der Dummheit der Rede gibt es eine Dummheit des Tuns. Wohl kein Tag vergeht, an dem wir nicht aus Unachtsamkeit etwas Dummes tun. Vielleicht glauben wir dann, irgendein Kobold habe uns einen Streich gespielt, damit wir ja nicht in uns selbst die Ursache sehen müssen. Wir versuchen, uns auszuweichen. Nun behauptet Balthasar Gracian, dumm sei nicht, wer etwas Dummes begeht, sondern wer seine Dummheit nicht zu bedecken verstehe. Er hat recht, wer dies tut, erkennt seine Dummheit und ist daher nicht dumm. Der wahre Dumme weiß nicht, daß er dumm ist.

Dies alles sind mesquine Bereiche der Dummheit, an sie denken wir, wenn wir von Dummheit oder von ihrer Verhärtung, der Borniertheit, sprechen. Wir geben uns aber kaum je Rechenschaft, daß sich viel gewaltigere, viel gefährlichere Bereiche der Dummheit feststellen lassen. Wir nehmen weltweite Erscheinungen, Geschehnisse allzusehr einfach als gegeben hin, ohne sie darauf zu untersuchen, ob sie nicht als Manifestationen der Dummheit zu entlarven sind. Dazu ist es nötig, hinter diese Erscheinungen und Geschehnisse zu blicken, man muß sozusagen die Welt von der Kehrseite betrachten. Das tut Eugen Gürster in seinem Buch „Macht und Geheimnis der Dummheit" (Artemis-Verlag, Zürich und Stuttgart), in dem ein überraschend umfangreiches und vielseitiges Beobachtungsmaterial verarbeitet ist.

Verengt man die Wirklichkeit auf einen einzigen Aspekt und gibt man ihn für die Totalität der Wirklichkeit aus, so bezeichnet das Gürster als Dummheit. Dieser Satz ist generell richtig, inwieweit er sich aber anwenden läßt, hängt von den Auswirkungen ab. Er läßt sich keineswegs auf die führenden Kräfte und Ideen der Staaten beziehen. Gürster denkt nämlich vor allem an die Ideologien, die unser Jahrhundert beherrschen, in deren Namen ungeheure Verbrechen begangen wurden. Aber die Massenmörder an der Spitze der Staaten kann man in ihrer verbrecherisch sich auswirkenden geistigen Verengung nicht mehr als Dummköpfe bezeichnen.

Es ist zu unterscheiden zwischen einer Beschränkung aus Beschränktheit und absichtsvoller Verengung. Bewußt angelegte Verbrechen dieses Ausmaßes geschehen nicht aus Dummheit. Vollends wäre Gürsters Wort fehl angewendet, denkt man an Staaten, die durch Verbrechen zu Weltmächten wurden. Dagegen ist es gewiß Dummheit, wenn sich ein Staatsmann in der Willkür seines Strebens für ein vollstreckendes Organ des Schicksals hält. Aber nur, falls dies nicht aus Taktik geschieht. Auch die Gleichsetzung von Fanatiker und Dummkopf, die Gürster vornimmt, ist nur dann richtig, wenn Beschränktheit und nicht absichtsvolle Beschränkung vorliegt. Es ist kein Zweifel, daß Verbesserungen vor allem sozialer Art im Gefolge von politischen Verbrechen erreicht wurden. Das läßt sich nicht mehr als Dummheit bezeichnen.

Die Dummheit erweist sich generell als ein Abwürgen der Vernunft durch extreme Gefühle und Triebe. Da nun kann man vor allem bei der ungeheuren Masse der von den Führenden Geführten sehr oft von Dummheit sprechen, sie wird tatsächlich zur Weltmacht. Denkschemen entfesseln verbrecherische Impulse: „Herrenvolk“, „Platz an der Sonne“, „Ausputzen von Schützengräben“, „Liquidieren“. Gürster verweist bei den Geführten auf einen Willen zur Verdummung, sie wollen sich „gleiten lassen“, bedingt durch Denkträgheit fühlen sie sich in der Herde wohl. Kollektive politische Ekstasen springen dann auf. Durch diese verengende Denktätigkeit entsteht, was Gürster mit Recht anprangert, eine Wertminderung des Ichs. Die Preisgabe einer möglichen Selbstverwirklichung bedingt einen Ich-Zerfall, der Mensch kann „ferngesteuert“ werden. Verheerende Folge: Es gibt für ihn keine Schuld, kein Gefühl für Verantwortung mehr. Mit dem Ich-Zerfall tritt ein Gewissenszerfall ein.

Die Welt als absurd zu bezeichnen, auch dies ist für Gürster eine Emanation der Dummheit, die lediglich dazu diene, sich an der Selbstverwirklichung vorbeizudrücken. Man belaste das Leben nur deshalb mit dem Fluch des Absurden, weil unberechtigt der Anspruch erhoben werde, einer sinnvollen Welt anzugehören. Was nun das Absurde betrifft, kann auch Gürster kaum leugnen, daß das Leben, um sich am Leben zu erhalten, Leben zerstören muß; dies ist wohl, vom Individuum her gesehen, als absurd zu bezeichnen. Hinsichtlich des Sinnes dagegen meint er berechtigt, es lasse sich darüber nichts aussagen, da wir Teilnehmer eines Prozesses sind, den wir — eben als Teilnehmer — nicht zu überschauen vermögen. Wir können vieles beschreiben, manipulieren, verwalten, es ist aber nur dumm, zu glauben, daß wir damit das Wesen der Dinge begreifen.

Ist die Dummheit nur eine Agentin der Zerstörung? Gürster bezeichnet sie auch als einen Motor des Lebens, ja sie sei mit dem Wesen des Menschen untrennbar verbunden. Letztlich bilde das Lachen ein wirksames Mittel gegen die Anfälle der eigenen Dummheit. Doch nicht jeder ist dumm, darf man hinzufügen, der nicht über sich zu lachen vermag. Insgesamt leuchtet Gürster die Dummheit dort grell an, wo sie von den wenigsten vermutet wird. Diese Betrachtungen wirken amüsant und bitter zugleich.

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