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Österreich als Zellwollhersteller

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Noch vor wenigen Jahrzehnten beherrschte „Königin“ Baumwolle souverän Textilproduk tion und Modeschaffen der Welt — seither mußte sie allerdings einen Teil ihrer Macht an die neu entstandene Zellwolle abgeben. Die Zellwolle ist im Grunde eine Naturfaser wie ihre ältere Schwester; ihr Grundstoff ist die Zellulose, die auf dem Weg über die Viscose in einem sinnvollen Spinnprozeß jene schöne Faser ergibt, die, immer wieder geprüft und verbessert, in allen Bereichen der Textilwirtschaft Verwendung findet. Auch bei bestem Willen hätte die Baumwolle den immer noch ansteigenden Bedürfnissen der Welt nach textilen Rohstoffen nicht genügen können: da sich die Bevölkerung der Erde von Jahr zu Jahr erheblich vermehrt, wäre es völlig un möglich gewesen, in gleichem Umfang die Anbaufläche zu vergrößern, um so weniger, als die wachsende Zahl der Bevölkerung der Erde ja auch erhöhte Ansprüche auf Nahrung stellt. So fügte es ein gütiges Geschick, daß die sonst unvermeidliche Lücke in der textilen Versorgung durch die Zellwolle geschlossen werden konnte. Wenn derzeit das Verhältnis im Verbrauch etwa ein Drittel Zellwolle und zwei Drittel Baumwolle ist, wird sich dieses Verhältnis in Zukunft sicher noch zugunsten der Zellwolle verschieben. In Oesterreich wurde die Zellwollerzeugung im Jahre 1938 aufgenommen, die Produktion von Lenzing sollte ein Teil des großdeutschen Versorgungssystems sein. Die Finanzierung war nicht sehr sorgfältig und das Kapital wurde genommen, wo es möglich schien. Als dann im Jahre 1944 die neue Fabrik geschlossen wurde und nach dem Zusammenbruch des großdeutschen Reiches in hoffnungslosem Zustand zurückblieb, war es für unser Land erfreulich, daß es in den Jahren 1948/49 gelang, Lenzing durch eine systematische Sanierung auf eine neue und gesunde Grundlage zu stellen. Seit Lenzing österreichisch geworden ist, konnte es in wahrhaft erstaunlicher Weise nicht nur die Produktion ausbauen; der Betrieb wurde konsolidiert und reorganisiert, und durch eine Fülle von Qualitätsverbesserungen gelang es, den Ruf des Lenzinger Erzeugnisses „Lenzesa“ zu einem Weltbegriff zu machen: Lenzing ist heute nicht nur die größte Zellwollfabrik Europas, die Qualität seiner Ware ist, dank einer unermüdlichen Forscher- und Versuchstätigkeit seiner Chemiker und Ingenieure, so gut, daß sie mit allen Betrieben der Welt die Konkurrenz bestehen kann.

Die ständige Erhöhung der Produktion, die seit dem Jahre 1949 eingesetzt hat, erlaubte — trotz immer wieder erhöhter Personal- und Materialkosten — eine laufende Senkung der Selbstkosten und der Preise. Lenzing war imstande, preislich nicht nur mit der Baumwolle Schritt zu halten, es konnte auf allen Märkten der Welt der Konkurrenz der anderen Zellwollen standhalten und wird dies auch weiterhin tun können. Um die Erhöhung der Produktion zu veranschaulichen, seien einige Zahlen angeführt: Im Jahre 1949 wurden 15.640 Jahrestonnen, im Jahre 1954 36.767 t und im Jahre 1957 46.448 t erzeugt, wobei stets durch laufende Proben sorgfältig geprüft wurde, daß durch die vermehrte Erzeugung die Qualität nicht leide. Im Gegenteil: von Jahr zu Jahr war es möglich, durch Herstellung von für den Verbrauch besser geeigneten Typen den Wünschen der Kundschaft entgegenzukommen. Auch die Einführung der düsengefärbten Zellwolle — ihre Anwendung steigt von Jahr zu Jahr — gehört hierher. Die Anzahl der hergestellten Typen war bei ungefärbter Wolle im Jahre 1957 161, bei Farbwolle 114 im Jahre 1955 und 320 im Jahre 19571 Der Anstieg der Produktion in den letzten Jahren ist also doppelt hoch einzuschätzen, da diese Vielfalt der Typen die Produktion sehr erschwerte. Berücksichtigung der Wünsche der Kunden in der Typenausstattung und ständige Verbesserung der Eigenschaften der Zellwolle — das ist der Weg, den die Produktionen der Zellwolle Lenzing gegangen sind und der ihren ständigen Aufstieg ermöglicht hat. Die Einrichtung einer (kleinen) Versuchsspinnerei und -weberei und einer Versuchsausrüsterei gibt dem Werk die Möglichkeit, außer der ständigen laboratoriumsmäßigen Ueberprüfung die Ware auf ihre Verwendbarkeit für die Weiterverarbeitung auch praktisch zu erproben.

Es ist also für Lenzing keine Frage, daß die Zellwolle auch weiterhin ihren Platz unter den textilen Rohstoffen behaupten, daß sie ihn festigen wird — ein Ziel, zu dessen Erreichung die möglichst billige Herstellung von entscheidender Bedeutung sein wird. Deshalb hat Lenzing bedeutende Fortschritte in der Rückgewinnung einzelner Rohstoffe angebahnt und zum Teil schon durchgeführt. Da der Materials verbrauch 80 Prozent, der Personalaufwand 14 Prozent beträgt, ist klar, daß jede Materialeinsparung von großer Bedeutung für die Senkung der Selbstkosten ist Das Jahr 1958 wird auf diesem Gebiet große Ergebnisse bringen und die Anlagen für ViscoserückgewinnUng und Schwefelkohlenstoffrückgewinnung werden ihren Nutzen erweisen. (Beide Anlagen werden Ende dieses Jahres fertig.) So ist denn die Entwicklung der Zellwolle in vollem Gang: immer besser und immer billiger werden, das ist der Weg, auf dem die Zellwolle Lenzing AG. auch weiterhin ihren Platz in der europäischen Zellwollerzeugung behaupten wird.

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