Anything goes, auch am Bau?

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Architekturbücher: Von der Sachlichkeit zur Beliebigkeit.

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Architekturbücher: Von der Sachlichkeit zur Beliebigkeit.

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Architekten zählen zu den Leuten, die das Tun ihrer Konkurrenten besonders genau beobachten. Kein Wunder, daß sie als gute Buchkäufer gelten. Hier eine Auswahl aus den Neuerscheinungen der letzten Zeit. Fangen wir mit dem ebenso gewichtigen wie preiswerten Fotoband von Julius Shulman an. Richard Neutra entdeckte das Talent des 1910 geborenen Shulman für die Architekturfotografie. Shulman begleitete in sechs Jahrzehnten fotografierend die amerikanische Architektur und manches längst vernichtete oder zur Unkenntlichkeit veränderte Schlüsselwerk überlebt in seinen Bildern. Von ihm kann man lernen, daß die Technik Voraussetzung, das Entscheidende aber das Sehen ist.

Er hat auch die Fähigkeit, Ausblicke in Innenaufnahmen einzubeziehen. Ein schönes Beispiel dafür: Das Interieur von Haus Shive in Iowa. Sein Buch ist ein Muß für jeden an Architektur Interessierten, es ist voll kluger Reflexionen und es enthält, perfekt fotografiert, eine Reihe von Bauten, die "Maßstäbe setzten".

Was diese Maßstäbe heute wert sind, ist die große, vieldiskutierte Frage. Wie so oft, wenn Traditionsverhaftete von Abstieg und Beliebigkeit reden und die Mitläufer jedes Trends spitze Schreie der Begeisterung ausstoßen, zeigt sich wieder einmal, daß neue Trends nur sehr selten tatsächlich der Beliebigkeit entspringen. Im Bauen haben nicht zuletzt neue, fügsame, jeder Materialgerechtigkeit hohnsprechende Materialien sowie die Computerkonstruktion das Zeitalter des echten oder vermeintlichen "anything goes" eingeläutet. Doch nach wie vor gilt der Ausspruch Shulmans, daß man sich bei der Beurteilung eines Bauwerks Zeit lassen muß. Er meinte als Fotograf Stunden oder Tage, doch oft dauert die Urteilsbildung viele Jahre und noch länger.

Eine Fülle von Bauwerken, deren Bewertung in der Architekturgeschichte möglicherweise noch eine ganze Weile schwanken wird, findet sich zum Beispiel in den exzellent gemachten Bänden der Reihe "Architektur im 20. Jahrhundert" des Prestel Verlages. Sie bieten jeweils einen Längsschnitt durch mehrere Jahrzehnte Baugeschichte eines Landes. Allein über Foto und Entwurfsskizze des Fischmarktes Massarelos von Januario Godinho im Band "Portugal" könnte man lange nachdenken: Erst 1987 entstanden, scheint dieser Bau den Geist der bestimmenden europäischen Architektur der zwanziger und frühen dreißiger Jahre zusammenzufassen - ohne einen Hauch von Epigonentum. Er wirkt wie ein erratischer Block, eine gewisse Verwahrlosung verstärkt diesen Eindruck.

Im Band "Schweden" derselben Reihe ist das Wasa-Museum ein gutes Beispiel für einen nur auf den ersten Blick willkürlich, weil unübersichtlich wirkenden Bau. Tatsächlich ist das Museum mit hoher Funktionalität um das 1628 auf seiner Jungfernfahrt gesunkene und 1960 gehobene Flaggschiff herumgebaut, wobei jedes Detail seinen Zweck hat. Man muß aber dort gewesen sein, um das zu erfassen.

Mit seinen vielen Beispielen, Anregungen, konstruktiven und historischen Ausführungen erfüllt das zweisprachige (deutsch/englische) Buch "Neue Holzarchitektur in Skandinavien" von Christoph Affentranger die Voraussetzungen für ein Standardwerk. 19 Gebäude in Dänemark, Island, Norwegen, Schweden und Finnland werden untersucht, darunter das originelle, 1974 entstandene, anthroposophisch inspirierte Musik- und Wohnaus "Almandinen" in Järna, Schweden.

Ist das älteste Material, Holz, vor allem im privaten Bauen mehr denn je in, informieren zwei Bücher von Philip Jodidio darüber, was heute technisch geht - und was dies formal nach sich zieht. In Band III der "Contemporary American Architects" (deutsch, englisch, französisch) ist das noble Atrium der San Francisco Public Library von Pei Cobb Freed ein gemäßigtes Beispiel. Noch sind die von Cesar Pelli in Kuala Lumpur errichteten, 452 Meter hohen Petronas Twin Towers das höchste Bauwerk der Welt. Doch mit 840 Metern Höhe zielt der von Sir Norman Foster für Tokio konzipierte Millennium Tower über alles heute Existierende weit hinaus. Hybris oder bloß selbstverständlicher Gebrauch neuer Möglichkeiten und Materialien? Das von Jodidio gebotene Anschauungsmaterial beeindruckt, die endgültige Bewertung steht noch in den Sternen.

Architektur und Fotografie Von Julius Shulman Vorwort: Frank O. Gehry Benedikt Taschen Verlag, Köln 1998 300 Seiten, viele Bilder, geb., öS 399,- Brandstätter, Wien 1993. 264 Seiten, ca. 50 Farb- und 150 SW Abbildungen, öS 690,-.

PORTUGAL Architektur im 20. Jahrhundert Herausgeber: Annette Becker, Ana Tostoes, Wilfried Wang Verlag Prestel, München 1998 352 Seiten, viele Bilder, Ln., öS 1.080,- 150 SW Abbildungen, öS 690,-.

SCHWEDEN Architektur im 20. Jahrhundert Herausgeber: Claes Caldenby, Jöran Lindvall, Wilfried Wang Verlag Prestel, München 1998 400 Seiten, viele Bilder, Ln., öS 1.080,- Von Petsdfen von sdf Verlag Christian Brandstätter, Wien 1993. 264 Seiten, ca. 50 Farb- und 150 SW Abbildungen, öS 690,-.

NEUE HOLZARCHITEKTUR IN SKANDINAVIEN Von Christoph Affentranger Birkhäuser Verlag, Bassel 1997 240 Seiten, 312 Abbildungen, öS 935, ter, Wien 1993. 264 Seiten, ca. 50 Farb- und 150 SW Abbildungen, öS 690,-.

SIR NORMAN FOSTER Von Philip Jodidio Benedikt Taschen Verlag, Köln 1998 176 Seiten, viele Bilder, Pb., öS 199,- 264 Seiten, ca. 50 Farb- und 150 SW Abbildungen, öS 690,-.

CONTEMPORARY AMERICAN ARCHITECTS III Von Philip Jodidio Bedikt Taschen Verlag, Köln 1997 176 Seiten, viele Bilder, Pb., öS 199,-

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