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Fernweh wird angeheizt

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Durah die Fülle der Bücher, die sich Jahr für Jahr mit dem Reisen beschäftigen, zum Reisen anregen, das Reisen erleichtern oder noch bereichernder machen wollen, würde man einen eigenen Reiseführer brauchen. Das Spektrum reicht von längst zeitlos gewordenen, in die Weltliteratur eingegangenen Werken bis zum aktuellen Kompendium der Routen und Tips, nicht zu vergessen Landkarten und Straßenatlasse. Jedes hat seine Funktion, eines ergänzt das andere. Auf der einen Seite des Spektrums Subjektivität auf höchstem Niveau, auf der anderen Reduktion auf nachprüfbare und praktisch benötigte Pakten, dazwischen die reiche Palette aller möglichen Kompromisse zwischen diesen beiden Prinzipien.

Obwohl die „Indlienfahrt“ von Waldemar Bonseis vor genau 60 Jahren zum ersten Mal erschien und in Indien nichts mehr so ist, wie er es sah und beschrieb, sollte, wenn man sich die Mühe macht, vor (oder statt?) einer Inidienreise Bücher über Indien zu lesen, dieses keinesfalls fehlen. Wenige Europäer haben sich Indien mit so viel Liebe und Verständnis und dabei Humor und klarem Blick genähert wie Bonseis, und gerade durch sein fast schon ehrwürdiges Alter macht dieser Reisebericht auf noch vorhandene, verschüttete, dem Blick entzogene Wesenszüge Indiens aufmerksam. (Neuauflage: Bonseis, „Indienfahrt“, Deutsohe Verlagsanistalt, Stuttgart, 262 Seiten, öS 215,60.) Ein Evergreen reisender Intellektueller wären aber vor allem die Reflexionen von Henry Miller über Griechenland, die zum wenigen von diesem Autor gehören, was bisher nie verboten war. Auch „Der Koloß von Maroussi“ ist, 1941 in den USA zum ersten Mal erschienen, au einem Klassiker der Reise-literatur geworden.

Den Spuren des die Ägäis befah-renden Miller folgen heuer gleich wei Österreicher — Humbert Fink und Siegfried Freiberg. Der Molden-' Verlag nennt das Buch ,,Am Anfang war die Ägäis“ des in Salemo geborenen und Radiohörern vor allem durch seine Berichte aus dem Nahen Osten bekannten Humbert Fink einen „Reisebegleiter“. Genau darum handelt es sich. Mehr als ein üblicher Reiseführer, halb Reisebericht, halb Anleitung zum Reisen in der Ägäis, übersichtlich gegliedert für jeden, der wissen möchte, was auf welcher Insel wann passiert ist (beziehungsweise ihn dort erwartet). Fink kennt die Ägäis und ihre Geschichte, die aber hier die Gegenwart nicht erdrückt. Er schreibt eine flotte, freilich stellenweise überbeanspruchte Sprache, die mitunter, wenn er ganz ernst sein will, komische Effekte produziert. Subjektivität wird als Stiknittel geschickt genutzt — eine Etage höher freilich zum umeingelösten Anspruch. (Humbert Fink, „Am Anfang war die Ägäis — von Inseln und Küsten“, Molden-Verlag, 304 Seiten, 12 Farbtafeln, 7 Karten, öS 226.—.) Siegfried Freiberg beschreibt in seinem Taschenbuch „Wöhnstatt auf der Ägäis“ (Leykani-Verlag, Graz, 116 Seiten, 4 Bildtafeln, öS 95.—) brav Chronologisch die Eindrücke einer Schiffsreise „zu Göttern und Mythen“: ein paar nett formulierte Sätze, ein paar hübsche Beobachtungen und viele Details, wie man sie nach jeder Urlaubsreise so gern erzählt — und so ungern von anderen erzählt bekommt. Wozu?

Ich muß augeben: Wenn die Subjektivität nicht gerade von Henry Miller, Waldemar Bonseis oder einem ähnlichen Kaliber stammt, ist mir ein handfester Reiseführer lieber. Glücklicherweise gibt es kaum mehr ein Land, für das es sie nicht gibt. Vom Münchener Polyglott-Ver-lag zum Beispiel einen neuen „Großen Polyglott“, der „Ostafrdka“ behandelt Wer nach Kenia, Tansania und/oder gar Uganda fährt, findet hier alles, was er wissen will und muß, einschließlich Tierwelt, Krankheiten, Kleidungsratsdhläge, Bus-Fahrpläne, aber über einige Seiten über einstige Afrika-Expeditionen und genau eineinhalb Seiten „Kunst und Kultur“ hinaus sonst nichts — um so besser, allzu ausführliche Angaben über afrikanische Geschichte könnten den unbeschwerten Reisegenuß beeinträchtigen. Vorschläge für Reiserouten und Kurzangaben über Sehenswürdigkeiten (beides in reichem Maß vorhanden) sind den meisten ohnehin wichtiger. (400 Seiten, öS 129.40.)

Was dem Massentourismus, der ja .Ostafrika längst entdeckt hat, sein Polyglott, ist dem Billdungsreisenden sein Walter-Reiseführer. Mit zwei neuen habe ich mich befaßt, „Rumänien“ von Hans Kunz (420 Seiten. öS 270.—) und Südostasien von Hans Bräker (644 Seiten, öS 300.30). Das Niveau ist unterschiedlich, ^war bleibt auch Kunz nichts von den Informationen schuldig, die ein Reiseführer mit kumthistorisch-kultureller Schlagseite enthalten soll, bietet sogar wesentlich mehr, ein Buch über Land und Leute, über Geschichte und Gegenwart Rumäniens, über das man hierzulande so wenig weiß. Aber hier wird auch eine Menge dahergeplappert, zum Teil sogar ärgerliches Zeug, denn eine Wendung wie das berüchtigte „was einen nicht umbringt, macht einen stärker“ im Zusammenhang mit gleichgültig welchem Menschenschlag, ist fehl am Platz. Führers Kern/Sätze sollte ein Autor, der auf sich hält, nicht nachbeten.

Dafür ist der Walter-Führer „Südostasien“ ein echter Glücksfall unter den Reiseführern. Hans Bräker studierte Geschichte, Religionswissenschaft, Sprachen und Volkswirtschaft und kennt Asien von vielen Reisen. Er bewältigt spielend ein formales Problem, an dem viele Reiseführer-Autoren soheitem: Die strikten lokalen Ordnungsprinzipien eines Führers mit einer nicht kurzatmig-zer-splitterten, sondern souveränen Darstellung, die große Zusammenhänge sichtbar macht, zu verbinden. Der Band „Südostasien“ spart Singapur und Malaysia aus — er behandelt Ceylon, Burma, Thailand, Indonesien (Bali und Java) und ein Land, in das man nicht mehr reisen kann — Kambodscha mit den Ruinen von Angkor, dessen Faszinationskraft er offenbar ebenso erlegen ist wie jeder Mensch mit halbwegs intaktem Sen-sorium, der das Glück hatte, Angkor kennenzulernen Bräker schreibt ein klares, präzises Deutsch, und er versteht seine Beurteilungen künstlerischer Qualität und seine historischen Akzentsetzungen zu differenzieren. Und da und dort korrigiert er auch kleinere historische Irrtümer — etwa, die berühmt-berüchtigte Brücke über den Kwai sei von Geheimagenten zerstört worden (tatsächlich wurde sie zerbombt).

Wir reisen nicht nur selbst — es schwemmt jetzt auch Fremde nach Österreich und zum Teil sogar bis Wien. Zwei für sie bestimmte Broschüren kommen aus dem Süddeutschen Verlag: Ein sehr konventioneller . Führer durch Steiermark und Kärnten („Mit dem Auto wandern“, 256 Seiten, öS 65,45) und ein neuartiger, geradezu vorbildlicher Führer durch Wien („Wien — Kunst-& Kulturlexikon“ von Felix Czeike, 208 Seiten, 184 Abbildungen, öS 152.46). Das Büchlein hat ein äußerst tasohen- und blätterfreundliches Hochformat, ein geschmackiges Layout unld einen sehr ästhetischen Druck, vor allem aber ist hier alles, was Wien dem Kunstfreund zu bieten hat, strikt alphabetisch nach Gassen und Plätzen geordnet, so daß sich der Spaziergänger nicht nur zurechtfindet, sondern geradezu magisch weitergezogen werden dürfte. Traurig nur, daß das nicht auf unserem eigenen Mist gewachsen ist.

Reiseführer helfen nicht nur beim Reisen — sie helfen auch nach, daß es überhaupt dazu kommt. Sie heizen das Fernweh an. Aber auch Landkarten erleichtern uns nicht nur die Bewegung von A nach B, sondern sind dem Vernehmen nach bestens geeignet, in entsprechend prädisponierten, vorwiegend also urlaubsreifen Gemütern ernstere Anfälle von Fernweh auszulösen. Nicht ungefährlich sind da die Straßenkarten von Kümimerly + Frey (Bern). Einige der ,,Straßenkarten mit Sehenswürdigkeiten“ wurden überarbeitet und auf den neuen Stand gebracht, zum Teil handelt es sich aber auch um Neuerscheinungein: Finnland, Nord- und Süddeutschrand, Benelux/Ohampagne, Boden-see/SChwiarzwald/Vagesen-Elsaß, Alpenstraßen Scbweiz/Tirol/Adria, Nord- und Süditalien. Außer bei der Finnlandkarte (1 :1,000.000) und dem Bddensee-Blatt (1 :250.000) ist der Maßstab immer 1 : 500.000. Alle Blätter sind hervorragend! lesbar und top-aktuell (Preis öS 63.20). Wer lieber blättert als faltet oder Geld sparen will, findet den Europa-Autoatlas von Kümimerly + Frey neu in zwei Ausgaben: Mit Ortsverzeichnis und 46 Städte-Durchfahrtsplänen für öS 150.—, ohne Ortsverzeichnis und Stadtplänen für öS 98.—.

Dies alles ist aber nur ein winziger Ausschnitt aus einem gewaltigen Angebot an Reiseführern, Karten und sonstiger Urlaubsliteratur. Es ist ohne weiteres möglich, das Ur-laubsbudget in dieser Form anzulegen — unld die freien Tage im bequemen Lehnstuhl mit aufgeschlagenem Reiseführer und dem Finger auf der Landkarte zu verbringen. Es soll Menschen geben, die es so sogar lieber haben.

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