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Bei den Gottern in Nepal

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Am Basantapur Square von Kathmandu lebt eine Göttin. Im Kumari Ba-hal, dem 1757 erbauten Kloster der Jungfrau, wohnt die Kumari Devi oder jungfräuliche Göttin, ein junges Mädchen, welches als Inkarnation der Göttin T'aleju gilt.

Im Innenhof ihres Palastes warten wir, um einen Blick auf die Göttin zu werfen. Das kann Glück bringen oder den Tod bedeuten. Die Kumari gilt als „Orakel”. Die Gläubigen wollen an ihrer Gestik und Mimik erkennen, wie sich ihr Schicksal gestaltet. lächelt sie, während sie das rote Tika auf der Stirn der Pilger berührt, wird der Gläubige gesund und erfolgreich, verzieht sie ihr Gesicht, droht ein Unglück, wenn sie zittert, landet er im Gefängnis und falls sie weint oder sich die Augen reibt, muß der Besucher sterben.

Das schöne, filigrane Fenster ist zwar geöffnet, aber leer. Für einige Bupien verspricht uns ein lokaler „guide”, die Kumari Devi am Fenster erscheinen zu lassen. Und wirklich, bald ist eine rote Robe zu sehen. Das muß die Kumari sein. Die Haare zu einem Knoten gebunden, das rote Mal, das mystische dritte Auge über der Nasenwurzel und einen schwarzen Strich bis zu den Schläfen. Sie zeigt sich kurz am Fenster, lächelt und ist wieder weg. Mehr kann man für zwanzig Rupien nicht erwarten. Immerhin hat sie nicht geweint.

Die Kumari Devi wird mit zwei bis vier Jahren ausgewählt. Sie darf sich noch nie verletzt haben und muß furchtlos sein. Das wird auch getestet: fn der „schwarzen Nacht” Kalratri werden beim Dasain-Fest vor ihren Augen 108 Büffel und 108 Ziegen geschlachtet. Jenes Kind, das sich nicht fürchtet, keine Gefühle zeigt, wird Göttin.

Ihre Zeit als Göttin endet abrupt. Wenn die Kumari erstmals blutet, meist bei ihrer ersten Menstruation, wird sie wieder ein gewöhnlicher Mensch. Damit beginnt auch ihr Leidensweg. Allein der gesellschaftliche Sturz von einer Göttin zu einem völlig unbeachteten pubertierenden Mädchen ist ein großer Schock. Die Kumari hat aber auch keine Schule besucht und findet als gewesene Göttin auch kaum einen Mann.

Nepal ist das Land der 1.000 Götter, die Kumari ist nur eine davon. Das Leben im einzigen Land der Erde, in dem der Hinduismus Staatsreligion ist, ist von Karma und Wiedergeburt geprägt. Karma, die Summe aller guten und schlechten Taten, bestimmt das Schicksal der Menschen, Tiere und Pflanzen. Und jede Seele muß unzählige Wiedergeburten erdulden, ehe sie die Moksha, die Erlösung, findet.

Im Hindu-Pantheon dominieren drei Hauptgötter: Shiva, der Zerstörer, Brahma, der Schöpfer, und Vish-nu, der Erhalter der Welt. Das ist noch ziemlich einfach. Verwirrender ist, daß es die Götter in vielen Inkarnationen gibt. Vishnu ist auch Krishna und Bama, Shiva kanriuch als Bhairav auftreten. Gott sei Dank kann man sie aber leicht erkennen, denn Shiva reitet auf einem Zebu, Brahma wird von einem Schwan begleitet und Vishnu geht mit dem mystischen Vogel Garuda einher.

Es gibt natürlich auch Göttinnen. Eine davon ist Kali, die Göttin der Zerstörung. Die schwarze Göttin, der man früher auch Menschenopfer darbrachte. Wir besuchen sie in Daks-hinkali, einer Schlucht 45 Kilometer südlich von Kathmandu. Hier ist ihr ein Tempel geweiht, in dem ein blutrünstiges Opferritual stattfindet. Eine Steinfigur zeigt die Göttin, wie sie auf einem männlichen Wesen herumtrampelt. Sie hat unzählige Arme, in denen sie bedrohliche Waffen schwingt.

Dienstags und samstags werden Kali unkastrierte männliche Haustiere geopfert. Schafe, Ziegen und vor allem Gockel. Kinder in bunten Festtagskleidern haben ihre Ziege in ihre Mitte genommen und führen sie fröhlich lachend zum Tempel. Ganz selbstverständlich und ohne Angst. Nur der Strick, an den sie das Tier gebunden haben, läßt erahnen, daß es diesen Weg selbst nicht gehen würde. Vor dem Tempel stehen bereits Hunderte einheimische Familien Schlange. Sie warten, bis sie mit ihrer Opfergabe an der Beihe sind. Die Männer übergeben ihr Opfertier samt einer Geldspende dem Tempelpriester, der ganz in schwarz gekleidet und mit rotem Blut besudelt ist. Direkt vor uns schneidet der Priester den Tieren die Kehle durch und läßt ihr Blut auf eine Kalifigur träufeln. Die Tiere sind nun heilig, da die Göttin von ihnen gekostet hat. Das ist uns genug. Als wir auch noch erfahren, daß sich ältere Bewohner noch an Menschenopfer erinnern wollen, verlassen wir den schaurigen Ort.

Für die Pilger beginnt nun aber erst das Fest, die geopferten Tiere werden wie bei einem Volksfest gleich verspeist. Schon auf der Bückfahrt nach Kathmandu fällt uns ein, daß wir mindestens zehn Polizisten gesehen hatten, die die Opferungen überwacht hatten. Der Gedanke, daß man sie vielleicht eigens hierher beordert hat, um etwaige Menschenopfer zu verhindern, läßt uns noch nachträglich schaudern.

Kathmandu ist überwältigend. Allein am Durbar Square, dem Königshof im Zentrum, stehen auf engstem Baum 84 Tempel, die meisten 400 Jahre alt. Die Stadt ist von religiösem Leben erfüllt. Vor den Tempeln, die meist nur Hindus betreten dürfen, sitzen die Sadhus, die heiligen Männer. Ihr Haar ist ungeschnitten, auf der Stirn tragen sie mystische Zeichen und um den Hals die Rudraksha Mala, eine Gebetshilfe ähnlich dem Rosenkranz. Die wandernden Asketen und Einsiedler meditieren und gehen auch einem nicht ganz so heiligen Gewerbe nach: Für zehn Rupien lassen sie sich fotografieren.

Gläubige Hindus umrunden eine Statue Hanumams, des listigen und kampfstarken Affengottes. Sie bekleben die Statue, die mit einem roten Gewand bekleidet ist, mit Sindur, einer roten Paste, sodaß sie schon völlig unkenntlich ist. Vor dem Kala Bhairav, einem bunten Wandfresko, das den schwertschwingenden, furchterregenden Gott zeigt, halten viele Gläubige zu einem kurzen Gebet. Beim Seto-Machhendranath-Tempel sitzen Cola trinkende Pilger und von den Stufen des Shiva Tempels Maju Deval aus genießen Traveller die Aussicht über eine der schönsten Altstädte der Welt.

Die schönsten Stupas und Tempel stehen einige Kilometer außerhalb Kathmandus. In Pashupatinath, dem heiligsten hinduistischen Zentrum, - sehen wir ein Shiva-Lingam, das Hauptheiligtum. Gläubige bestreuen den Lingam, das phallische Symbol Shivas, das aus einer Yoni, dem weiblichen Prinzip, ragt, mit buntem Pulver. Sie verbrennen Lakhbatti, in Butter getauchte Zwirnsrollen. Je mehr man verbrennt, umso größer ist das religiöse Verdienst; das kommt uns bekannt vor.

Die Stupa von Bodnath ist eines der wichtigsten buddhistischen Heiligtümer. Über einem Erdhügel erhebt sich die riesige glockenförmige schneeweiße Kuppel. Der goldene Turm hat 13 Stufen, die die 13 Stadien spiritueller Erkenntnis symbolisieren. Vom Kopf des Turmes blicken uns die drei Äugen des Buddhas an, das dritte mystische Auge über der Nasenwurzel. Wir umrunden die Stupa wie die Gläubigen im Uhrzeigersinn. Um das Heiligtum hat sich eine tibetanische Siedlung mit Souvenirgeschäften gebildet. In der Gompa, einem Kloster, wohnt der Cinya Lama, das dritthöchste spirituelle Oberhaupt der Tibetaner.

Zur Stupa von Swayambhunath, die wegen der vielen Affen auch „monkey tempel” genannt wird, führen 365 steile Stufen. Rot-gelbe Buddhas weisen den Weg. Um die Stupa sind Reihen von Gebetsmühlen aufgestellt, die von den Gläubigen im Uhrzeigersinn gedreht werden.

Nepal ist unglaublich reich an Tempeln und Pagoden, seine Mythen und religiösen Traditionen sind unerschöpflich. Diese Mischung aus fernöstlicher Weisheit und lebenden Göttern, aus Magie und Beschwörung macht Nepal so faszinierend.

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