Die Wasser der Vorzeit

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Wer beim Betreten einer Kirche die Finger mit Weihwasser benetzt, um sich zu bekreuzigen, stellt damit die Verbindung zur Entwicklung des Lebens auf diesem Planeten her - denn die menschliche Affinität zum Wasser ist genetisch verankert und eine Erinnerung an die Evolution. Ohne Wasser kein Leben und kein Beginn des Lebens, das ist ein Faktum. In den Urozeanen entstanden die ersten Einzeller, dort entwickelten sich auch die ersten Mehrzeller, und Forschungsergebnisse zeigen, dass die "Bauart“ unserer Hände und Arme ihren Ursprung bei jenen fossilen Fischen hat, die vor 380 bis 360 Millionen Jahren begannen, sich nicht nur im Wasser, sondern auch im sumpfigen Gelände zu bewegen. Dies war der erste Schritt zum Entstehen von Landbewohnern - den Tieren und Menschen. Und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass in vielen Schöpfungsmythen das Leben im Wasser oder Schlamm beginnt. Im babylonischen Mythos ist es die Göttin Tiamat, das Salzwasser, die sich mit dem Gott Apsu, dem Süßwasser, verbindet, und aus dieser Verbindung entsteht die erste Generation der Götter. Doch es gibt blutigen Familienkrach, der mit der Tötung von Apsu und Tiamat durch ihre Nachkommen endet. Tiamats Körper wird gespalten, und daraus entstehen Himmel und Erde. Dieses Motiv der uranfänglichen Wasser und der darauf folgenden Trennung von Himmel und Erde nimmt der biblische Schöpfungshymnus in Buch Genesis auf - doch hier geht es friedlich zu: Als Gott am Anfang Himmel und Erde schuf, schwebte die ruach elohim, die Geistin Gottes, über den "Wassern der Tiefe“ - und durch eine Serie weiterer Trennungen und Unterscheidungen entsteht schließlich die Welt der Pflanzen, Tiere und Menschen.

Auch im Rigveda, der ältesten Textüberlieferung der Hindu-Traditionen, findet sich - neben anderen Weltentstehungsmythen -die Vorstellung, dass die Welt aus den Wassern entsteht. "Damals war weder Nichtsein noch Sein. Nicht gab es den Raum, noch auch den Himmel jenseits davon. Was wehte hin und her? Wo? Unter wessen Schutz? Was war das unergründlich tiefe Süßwasser? Weder gab es damals Tod noch Unsterblichkeit, nicht auch die Erscheinungen von Tag und Nacht. Es atmete, ohne Wind zu machen, das Eine aus Vergnügen. […] Finsternis war durch Finsternis versteckt. Diese ganze Welt war eine einzige Salzflut. Doch der Lebenskeim, der von Leere eingeschlossen war, das Eine, kam zur Geburt durch Hitze.“ So übersetzt der Heidelberger Indologe Axel Michaels die berühmte Passage aus Rigveda 10, die manche als den Beginn der skeptischen Philosophie in Indien sehen.

Das Leben kommt aus dem Wasser

Das Leben kommt aus dem Wasser: Embryos wachsen im Fruchtwasser heran, und Menschen bestehen zu etwa 80 Prozent aus Wasser; im Alter sind es nur noch ca. 60 Prozent. Wasser ist die entscheidende Bedingung für menschliches Leben. So wundert es nicht, dass es in allen Religionen Rituale gibt, die Wasser und Leben verbinden. Ob die großen Wasserbecken in den Städten der Industal-Kultur (3. bis 2. Jahrtausend v. Chr.) religiösen Ritualen dienten, kann man nur vermuten, da die Schrift der Industal-Kultur noch nicht entziffert ist. Die Tempeltanks, die man heute vielfach in Indien sieht, erscheinen wie ein Echo dieser älteren Anlagen. Das rituelle Bad am Morgen, mit dem für gläubige Hindus der Tag beginnt, ist viel mehr als nur eine körperliche Reinigung. Dieses Wasserritual, das vorzugsweise in fließendem Wasser vollzogen wird, ist unter anderem eine Wiederholung des kosmischen Schöpfungsakts. Das Untertauchen ins Wasser wird von Atemübungen, Mantrenrezitation und Opfergesten begleitet. Dieses Ritual in seiner heutigen Form speist sich aus dem kulturellen Gedächtnis der Hindu-Traditionen, das bis in die Bronzezeit und vielleicht noch weiter zurück reicht - so wie das kulturelle Gedächtnis des Judentums. Auch hier soll das rituelle Bad in lebendigem, fließendem Wasser, in Quell- und Grundwasser, vollzogen werden. Die Mikwe, das Tauchbad, findet sich in den erhaltenen historischen Synagogen; und es gibt auch zeitgenössische Mikwaot. In die Mikwe gehen Frauen am Vorabend der Hochzeit, verheiratete Frauen nach der Geburt eines Kindes oder nach der Menstruation, sehr gläubige Männer am Freitag vor dem Schabbat oder am Vorabend von Jom Kippur - oder die Schreiber von Tora-Rollen, bevor sie den Gottesnamen schreiben; und dann auch Menschen, die zum Judentum konvertieren. Das Eintauchen ins Wasser ist eine Rückkehr in den Ursprung und ein neuer Anfang, das verleiht dem Ritual reinigende Kraft.

Das zeigt auch der christliche Taufritus: es ist die Teilhabe an Christi Sterben und Auferstehen, liest man bei Paulus (Röm 6, 3ff). Der "alte Mensch“ wird abgelegt, und ein "neuer Menschen angezogen“. Im frühen Christentum war das allerdings nicht nur eine zarte Andeutung wie heute, sondern die Taufe wurde ganz real durch Untertauchen vollzogen. In antiken Kirchen sind die Taufbecken deswegen richtige Tauchbecken. In den etablierten Großkirchen hat diese handfeste Form des Rituals heute keinen Platz mehr, im Gegensatz zu den Pfingstkirchen und den Zeugen Jehovas, die ihre Taufrituale in Schwimmbädern, am Fluss oder am Meer vollziehen.

Von einem gewöhnlichen Bad unterscheidet diese Rituale vor allem die Absicht. Deutlich wird das bei den Anweisungen für Musliminnen und Muslime für die Waschungen vor dem Gebet. Zunächst wird im Geist die Absicht formuliert, dann wird Gott, der Allerbarmer, angerufen, und erst dann werden Hände, Kopf, Nase, Ohren, Mund und Füße gereinigt.

Das Entscheidende ist die Absicht - und nicht das symbolische Zeichen. Deswegen wendet sich Shakyamuni Buddha kritisch gegen die Vorstellung mancher Brahmanen, man könne sich durch ein Bad im Ganges von seinen Verfehlungen reinigen. Ebenso erklärt Jesus, dass die Reinheit des Herzens nicht durch Vorschriften oder Rituale zu erreichen sei.

Heute freilich könnten die Wasserrituale, die aus dem Gedächtnis der Menschheit kommen, neu die Verbundenheit allen Lebens bestärken, die große Kette des Lebens.

* Die Autorin ist Religionsphilosophin und Religionsjournalistin |

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