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Im brausenden Sturmwind Gottes

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Vom Schöpfungsbericht über das Buch der Richter bis zum Pfingstwunder begegnen wir in der Bibel wiederholt dem Heiligen Geist. Ihn zu erklären, müssen Bilder herhalten.

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Vom Schöpfungsbericht über das Buch der Richter bis zum Pfingstwunder begegnen wir in der Bibel wiederholt dem Heiligen Geist. Ihn zu erklären, müssen Bilder herhalten.

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Wenn ich zum Fenster hinausschaue, fällt mein Blick auf eine gewaltige Fichte mitten in einem großen Garten, der von drei- bis vierstöckigen Häusern umschlossen wird. Ihr Wipfel erreicht schon die Höhe der Häuser, rank und schlank aufragend ohne jeden Rivalen. Meist steht sie regungslos wie in Meditation versunken da. Wenn aber der Frühlingswind über die Dächer braust, beginnt es in den Ästen und Zweigen zu rauschen. Der gewaltige Baum neigt sich vor und zurück, als ob er vom Schlaf erwacht wäre. Aus dem ruhenden Dasein wurde Bewegung und Erregung bis in die letzten Nadeln hinein. Nun möchte man meinen, der Baum bewegt sich; doch das ist falsch! Nicht er bewegt sich, er wird vielmehr vom Sturmwind bewegt.

An diesem Vergleich wird einsichtig, was der Heilige Geist ist. Um dies zu verstehen, muß man auf die Sprache der Bibel zurückgreifen. Das entsprechende hebräische Wort „ruah” kann sicher mit Geist übersetzt werden, die Urbedeutung jedoch ist Wind, geradezu Sturm. Gemeint ist jener Sturm, der von Gott ausgeht, die schlafende Welt aufrüttelt und in Bewegung bringt. Kurzgefaßt ist

Geist jene Kraft, die von Gott^aus-geht und in der Welt Wunder wirkt.

Am, Anfang des Schöpfungsberichtes steht der Satz: „Und der Geist schwebte über dem Abgrund der Tiefe”, der auch übersetzt werden kann mit „Der Sturmwind Gottes fuhr über den Abgrund hin”, wühlte ihn auf, und Gott sprach „Es werde!” So verstanden, wurde die Welt unter dem Brausen des Sturmwindes Gottes ins Dasein gerufen.

Doch der Sturmwind Gottes war nicht bloß am Anfang der Schöpfung am Werk. Es gibt ein Buch im Alten Testament, das man als Buch des Heiligen Geistes bezeichnen kann, nämlich das

Buch der Richter. Dieses schildert die politische Lage Israels vor der Errichtung des Königtums unter Saul und David. Die Stämme waren noch nicht zu einer politischen Einheit zusammengeschlossen und daher den feindlichen Einfällen von Galiläa bis ins Südland (Negeb) ausgesetzt.

In dieser Not schrien die Israeliten zu Gott um Hilfe, und der Gott Sabaoth, der Gott der Heerscharen, sandte ihnen Richter, d. h. Retter und Befreier aus Feindesnot. Namentlich werden ihrer zwölf angeführt, die sechs großen und die sechs kleinen Richter. Bei den großen wird jeweils berichtet, auf welche Art sie zu Richtern wurden. Meist waren es Bauern oder Viehzüchter, die vom feindlichen Uberfall am meisten bedroht wurden. So trieben die Mid-janiter ihre Kamelherden auf die Getreidefelder, wenn diese im besten Saft standen. Die Bevölkerung mußte sich in Berghöhlen verstecken.

Wie kam es nun, daß man den Mut aufbrachte, gegen die Feinde aufzustehen? Dadurch, daß jeweils ein Richter vom Geist Gottes erfaßt wurde. Für dieses Erfaßtsein werden verschiedene Verben verwendet: „Der Geist umkleidete ihn”, d. i. wie mit einem Nesselgewand, so daß der Getroffene nicht ruhig halten konnte, bis er das Werk der Befreiung vollbracht. Oder „Der Geist fiel auf ihn”, also überfallsartig, unverhofft und unerwartet; oder „Der Geist stieß ihn”; es gab kein Ausweichen vor Gott. Und schließlich einfachhin „Der Geist war/ruhte auf ihm”.

Daraus folgt, daß die Befreiung Israels einzig und allein das Werk des Geistes Gottes, also des Heiligen Geistes war. Weiters folgt daraus: Geistbegabung meint nicht Ausstattung mit Intelligenz, Verstand und Wissenschaft, sondern vielmehr Ausstattung mit einer neuen Kraft, die den Empfänger befähigt, Unerhörtes zu wirken.

In ganz besonderer Weise gilt Jesajah als der Prophet des Heiligen Geistes. In der Weihnachtszeit wird das Lied gesungen „Es ist ein Reis entsprungen aus einer Wurzel zart”. Was soll das? Sicher wird im Lied ein Vers aus dem Propheten aufgenommen, aber so, daß er in dieser Art mißverständlich wirkt; denn so zart war die Wurzel keineswegs! Was war geschehen?

In der Zeit des Propheten Jesajah (um 700 vor Christus) war der Nahe Osten wieder einmal Kriegsschauplatz. In Assyrien, dem heutigen Irak, hatte der Offizier Tiglat-Pilesar durch einen Militärputsch die Macht an sich gerissen. Sein politisches Ziel war es, bis ans Mittelmeer vorzustoßen. Die Kleinstaaten, darunter die Städte an der libanesischen Küste, fielen der Reihe nach in seine Hand. Das Nordreich Israel mit der Hauptstadt Samaria wurde erobert und ausgelöscht. Das Südreich Judah mit der Haupt-

Kann ein Mensch über Gott anders reden als in Bildern und Gleichnissen? stadt Jerusalem hielt zwar stand, seine 36 Festungen wurden aber geschleift; übrig blieb nur Jerusalem, das eingeschlossen und belagert wurde. Nur durch den Ausbruch der Pest überlebte Jerusalem die Katastrophe.

Was war also vom stolzen Baum der Dynastie Davids übriggeblieben? Nur noch ein Baumstumpf, auf den niemand mehr seine Hoffnung setzen konnte. In dieser tragischen Situation rechnete kaum mehr jemand mit der Wiederherstellung des glorreichen Reiches Davids. Trotzdem begann Jesajah zu singen und zu prophezeien: „Trotzdem geht ein Reis hervor aus Jesses Baumstumpf; ein Trieb aus seiner Wurzel bringt Frucht” (Jes 11, lff.).1

Wer wird dieses Wunder wirken? Schöpfte man Hoffnung aus der Änderung der politischen Lage?

Keineswegs! Die große Wende wird der Geist Gottes wirken! Der verheißene Sohn Davids wird voll des Heiligen Geistes sein, also nicht bloß für kurze Zeit, um eine bestimmte Aufgabe, zu erfüllen, der Geist ruht auf ihm dauernd in siebenfacher Fülle. Weisheit und Verstand weisen auf seine persönliche, Rat und Stärke auf seine politische, Anerkennung und Furcht Gottes auf seine religiöse Ausstattung. In der Mitte dieser Dreier-paare steht einfachhin Geist; denn der Sohn Davids wird ganz und gar ein Wunder des Geistes Gottes sein.

Aus dieser übervollen Ausstattung mit Heiligem Geist wird auch das Wunder der Geburt aus der Jungfrau (Jes 7) verständlich, sowie die fünf Thronnamen, die den menschlichen Horizont sprengen.

Auf diesem alttestamentlichen Hintergrund wirkt die Aussendung des Heiligen Geistes am Pfingsttag keineswegs überraschend, ist es doch der Geist Gottes, der jeweils Neues schafft. Um aber den Pf ingstbericht richtig zu verstehen, muß man auf die Eigenart der biblischen Sprache achten. Kann ein Mensch denn über Gott und göttliche Ereignisse anders reden als in Bildern und Gleichnissen? Die Pfingstperiko-pe verwendet daher das vergleichende „wie”: „Und es geschah plötzlich vom Himmel her ein Brausen wie eines gewaltig einherfahrenden Sturmes... es erschienen ihnen sich verteilende Zungen wie von Feuer ... und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt”.2

Die Vergleiche „wie Sturm, wie Feuer” weisen über das menschlich Erfaßbare hinaus; es sind Bilder einer transzendenten, den menschlichen Bereich übersteigenden Wirklichkeit. Tatsache ist, daß die Apostel erst durch den Geistempfang fähig wurden, die verriegelten Türen aufzustoßen, um das Evangelium von Jesus zu verkünden, der selbst von sich sagte: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen, und was will ich anderes, als daß es brenne!” (Lk 12,49).

•Ausführlicher in meinem Buch: RUFER DES HEILS IN HEILLOSER ZEIT. Der Prophet Jesajah, Schöningh 1973. 'Ausführlicher in meinem Buch: ALS SICH DER PFINGSTTAG ERFÜLLTE. Erklärung der Pf ingstperikope, Herder 1982.

Der Autor ist emeritierter Prof essor für Religionswissenschaft der Universität Graz.

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