7149326-1998_51_21.jpg
Digital In Arbeit

Ein Kosmos namens Adorno

Werbung
Werbung
Werbung

Die heimatlose Linke: Dieses Schlagwort aus einer versunkenen Ära ist auf neue Weise wieder aktuell. Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus wähnten viele deutsche Linke die Bahn frei für eine demokratische und humane Linke. Aber seit sich die alten Seilschaften der DDR in Massen in die Seile der PDS fallen lassen, fühlen sich viele in der real existierenden Politik heimatloser denn je. Sie reagieren ähnlich wie das deutsche und österreichische Bürgertum des 19. Jahrhunderts nach seiner schiefgegangenen Revolution und ziehen sich in die Sphären der Bücher und der Reflexion zurück. So entstand das komische Phänomen eines neuen, linken Bildungsbürgertums. Es lebt, ein Widerspruch in sich selbst, frustriert vor sich hin. Niemand weiß, was noch draus wird.

Als Hilfe bei der großen Bilanz, was unrettbar von gestern ist und was noch von morgen sein kann, würde ich einem solchen Linken zu Weihnachten Suhrkamps Jubiläums-Ta-schenbuchausgabe der Gesammelten Schriften von Theodor W. Adorno schenken. 10.000 Seiten intellektueller Proviant für den langen Marsch durch die Wüste. Doch würde ich das Bändchen „Theodor W. Adorno” von Rolf Wiggershaus dazulegen, denn die Gesammelten Schriften sind Werk pur, zwar mit editorischen Bemerkungen, doch ohne Einführung in den Kosmos Adorno. Der aber ist nur noch ergrauten Alt-68ern ein Begriff, und auch denen oft nur einer ohne reale Substanz, ein im Nebel verschwimmender Name.

Für die, die ihn kennen, ist Adornos Werk zu einem philosophischen Steinbruch geworden, dem man entnimmt, was man gerade braucht. Einerseits lädt seine Vielschichtigkeit dazu ein, auch wenn der Philosoph, Soziologe und Kunsttheoretiker dies keineswegs im Sinn hatte, sondern eher ein geschlossenes Theoriegebilde schaffen wollte. Andererseits bietet Adornos Reflexionsniveau und seine abstrakte Sprache einen Schutz. Kehrseite: Nicht zuletzt Adorno verdankte die 68er-Bewegung jene exklusive Sprache, die zu einer wirkungsvollen Barriere gegenüber denen wurde, die sie erreichen wollte. Dazwischen wird Adorno oft erfrischend direkt, etwa im grandiosen Absatz über die Schlaflosigkeit (Minima Moralia, Seite 188), oder wenn er die Fehlleistung im Nachruf auf einen Geschäftsmann („Die Weite seines Gewissens wetteiferte mit der Güte seines Herzens”) kommentiert: „Das unfreiwillige Zugeständnis, der gütige Verblichene sei gewissenlos gewesen, expediert den Leichenzug auf dem kürzesten Weg ins Land der Wahrheit” (ebenda, Seite 25).

Ähnlich wie Sartres Wirkung beruht auch Adornos prägender Einfluß auf die deutsche intellektuelle Szene lang vor 1968 nicht zuletzt auf der Verflechtung politischen, ästhetischen und kunsttheoretischen Denkens. Reflexion über Kunst und Literatur, Essays über Wagner, Mahler und Alban Rerg sowie vier Rande „Musikalische Schriften” machen nicht viel weniger als die Hälfte des Gesamtwerks aus. „Adorno war,” so Wiggershaus, „ein dunkler, ja schwarzer Theoretiker der Gesellschaft, dem aber der Schein von Hoffnung, der von Denken und Kunst ausging, genügte, um an der Gesellschaft radikale Kritik zu üben im Licht der Überzeugung, daß der Marxsche Imperativ unverändert gültig sei: alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.” Er sieht den Denker der „Dialektik der Aufklärung”, der mit Max florkheimer die Frankfurter Schule der kritischen Theorie begründete, differenziert und weist auch auf seine Grenzen sowie jene Fragen hin, auf die Adorno die Antwort schuldig bleiben mußte.

Zuletzt war Adorno den Radikalen nicht mehr radikal genug. Im Sommersemester 1969 wurde seine Soziologievorlesung geprengt. Er erlag wenige Wochen später mit 65 Jahren einem Herzinfarkt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung